Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

28 Dritter Abschnitt: Die natürlichen Grundlagen des Staats. II. Die Staatsangehörigen.  § 6. 
Allgemeinen ergibt sich aus dem in § 4 I. Bemerkten. Hier kommen nur noch die sog. 
Freiheits- oder Grundrechte in Betracht. Diese Rechte sind, wie bereits oben bemerkt wurde, 
nichts Anderes, als die von der Staatsgewalt selbst festgesetzten Schranken für die Macht- 
befugnisse der Behörden, die Grenzen, innerhalb welcher die Staatsgewalt die Freiheit der 
Einzelnen anerkennt. Die Zahl der Freiheitsrechte ist hiernach so groß, wie die Möglichkeit, 
jene Handlungsfreiheit nach den verschiedensten Seiten des staatlichen Lebens zu bethätigen 
bezw. zu beschränken ¹). Auch ist eine Darstellung des dem Würtemberger dermalen nach 
der Reichs- und Landesgesetzgebung zukommenden Maaßes von subjektiver Freiheit selbst in 
der Beschränkung auf einzelne Grundrechte nur noch auf dem Boden der Reichsgesetzgebung 
möglich, da nicht nur nach Art. 4 der R.V. die meisten Gebiete des staatlichen Lebens 
ihre Ordnung theils bedingt, theils unbedingt durch die Gesetzgebung des Reichs erhalten, 
sondern letztere speziell die Grenzen der persönlichen Freiheit auf dem von ihr beherrschten 
Gebiete des Strafrechts und Strafprozesses absolut geregelt hat. 
Es kann sich hiernach nicht darum handeln, den gesammten Inhalt der dem Württem- 
berger der Reichs- und Staatsgewalt gegenüber zukommenden Handlungsfreiheit nach logi- 
schen Kategorien darzustellen; denn dies würde Nichts Anderes bedeuten, als das gesammte 
öffentliche und Privatrecht, bezw. die ganze Thätigkeit der Staatsgewalt nach einer Schablone, 
nämlich aus dem Gesichtspunkte der dadurch begründeten Beschränkung der individuellen 
Freiheit zur Erörterung bringen. 
Dagegen rechtfertigt es sich aus Zweckmäßigkeitsgründen, bei der Darstellung des 
positiven Landesrechts einzelne Richtungen der persönlichen Handlungsfreiheit, welche in 
Folge der historischen Entwickelung seit dem Tübinger Vertrag von 1514 (s. o. S. 5) 
insbesondere aber nach der württ. V.U. eine gewisse publizistische Bedeutung erlangt haben, 
aus ihrem natürlichen Zusammenhang mit dem Verwaltungsrecht i. w. S. (Strafrecht, 
Prozeß, Polizeirecht ꝛc.) herauszugreifen und wegen ihrer besonderen Wichtigkeit für das 
öffentliche Recht hier zur übersichtlichen Darstellung zu bringen ²) (s. hierüber § 7). Um sog. 
subjektive öffentliche Rechte handelt es sich hierbei nicht, soweit nicht die Gesetzgebung im 
einzelnen Fall ein Individualrecht mit verwaltungsrechtlichem Schutz gewährt hat. 
II. Eine vorübergehende Aufhebung oder Beschränkung der durch die Reichs- 
und Landesgesetzgebung gewährleisteten, mit der Reichs- und Staatsangehörigkeit verbundenen 
Rechte kann seit der Aufnahme Württembergs in das Deutsche Reich nur noch auf Grund 
des Art. 68 der R.V. stattfinden, nach welchem der Kaiser, wenn die öffentliche Sicherheit 
in dem Bundesgebiete bedroht ist, jeden Theil desselben (mit einziger Ausnahme von 
Bayern) in den Kriegszustand erklären kann ³). Die Entscheidung der Vorfrage, ob die 
öffentliche Sicherheit bedroht ist, steht allein dem „Kaiser“ zu unter Verkündung im Reichs- 
gesetzblatt und unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers, der damit die Verantwortlichkeit 
dafür übernimmt, daß die Erklärung des Belagerungszustandes in den gesetzlichen Formen 
und unter den gesetzlichen Voraussetzungen erfolgt, nicht aber für die Handlungen, welche 
die Militärbefehlshaber als solche auszuüben haben ⁴). Dem Bundesrath oder dem Reichstag 
steht weder ein Recht der Beschlußfassung noch der Genehmigung zu, ebenso wenig haben die 
 
1) So führt Sarwey, St.R. I S. 219 unter anderen „Grundrechten“ auch die Grundrechte 
„Nichts zu thun" und „Nichts zu lernen“ auf, welche nur beschränkt sein sollen durch den ausnahms- 
weisen Zwang zur Arbeit (in den Strafanstalten ꝛc.) und durch die Schulpflicht, während das ganze 
Polizei- und Strafrecht unter dem formalen Gesichtspunkte der Beschränkung der persönlichen Freiheit 
aufgefaßt wird; s. dagegen Laband, St. R. I, S. 142 N. 1, Jellinek a. a. O. S. 89 ff., 96 f. 
2) Vgl. auch Zachariae, B. St. R. I § 87, Vogel, Bayer. St. R. S. 81, Hänel, I 356 f. 
3) Vgl. Laband, II 537ff., Seydel in v. Stengel's Wörterb. I S. 158 f., Hänel, St. R. I § 73. 
 4) Daß Art. 68 der Nord.D.B.V. vom „Bundesfeldherrn“ spricht, steht nicht entgegen, s. auch 
die vom Bundeskanzler kontrasignirte V.O. v. 21. Juni 1870, B.G.Bl. S. 503 und Hänel, I 
 
	        
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