Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

§ 6. Der Inhalt des Staatsbürgerrechts im Allgemeinen. 29 
Landesregierungen ein Zustimmungs= oder Widerspruchsrecht. — Die Voraussetzungen, 
die Form der Verkündigung und die Wirkungen einer solchen Erklärung des Kriegs- 
zustandes werden bis zu Erlassung eines Reichsgesetzes ausschließlich durch die Vorschriften 
des preußischen Ges. vom 4. Juni 1851 bestimmt ¹). Nach §§ 1 und 2 dieses Gesetzes ist 
die Erklärung aber nur statthaft a. für den Fall des Krieges in den vom Feinde bedrohten 
oder theilweise besetzten Territorien zum Zweck der Vertheidigung; b. für den Fall eines 
Aufruhrs bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit, sowohl in Kriegs- als Frie- 
denszeiten. Die Form der Verkündigung, welche wohl zu unterscheiden ist von der oben 
erwähnten Publikation der kaiserlichen Verordnung im Reichsgesetzblatt, ist durch § 8 3 a. a. O. 
näher bestimmt. Die Wirkung des Kriegszustandes ist im Wesentlichen eine Militär- 
diktatur, indem mit der Bekanntmachung nach § 4 ff. die vollziehende Gewalt an die 
Militärbefehlshaber übergeht ²) also auch soweit sie den Einzelstaaten bezw. dem Landesherrn 
zusteht, auf das Reich bezw. auf den Kaiser übertragen wird. Es können hierbei die Vor- 
schriften der preuß. Verf. über die Gewährleistung der persönlichen Freiheit (Art. 5), über 
die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 6), über die Freiheit der Presse (Art. 27, 28), 
über das Versammlungs- und Vereinsrecht (Art. 29, 30) und über das Einschreiten der 
bewaffneten Macht (Art. 36) suspendirt werden, ebenso die an deren Stelle getretenen Be- 
stimmungen der Reichsgesetze sowie die entsprechenden Vorschriften der Landesgesetze und 
Landesverfassungen ³). 
Der württembergischen Staatsregierung steht hiernach das Recht zur Verhängung des Be- 
lagerungszustandes weder im Kriege noch im Frieden zu. Letzteres ergibt sich nicht nur aus dem 
klaren Wortlaute der R.V. (a. a. O.), sondern auch daraus, daß die staatsbürgerlichen Rechte, deren 
Ausübung durch die Erklärung des Kriegszustandes suspendirt werden soll — vgl. auch §§ 4, 6, 7 
des angef. preuß. Gesetzes — dermalen in der Hauptsache auf der Reichsgesetzgebung beruhen, so 
namentlich das Straf- und Prozeßrecht und die Gerichtsverfassung, keiner Landesgesetzgebung aber 
das Recht zukommt, die Befehle der Reichsgewalt außer Wirkung zu setzen (vgl. auch E.G. z. Str. G.B. ⁴). 
In Württemberg bestand übrigens schon bisher kein Gesetz, welches die Staatsregierung 
speziell zur Verfügung des Belagerungszustandes ermächtigte oder die bei Verhängung desselben ein- 
tretenden Folgen normirte. Die einzige in Betracht kommende Bestimmung ist der § 89 der V. U., 
welcher den König — selbst wenn die Stände versammelt sind und ohne jeden Vorbehalt nachträg- 
licher Genehmigung — ermächtigt, in dringenden Fällen zur Sicherheit des Staats das Nöthige vor- 
zukehren ⁵). Allein wenn man auf diesen Paragraphen das Recht der Krone stützen wollte, den Be- 
lagerungszustand oder unter anderem Namen einen ähnlichen Ausnahmezustand innerhalb Landes 
„in dringenden Fällen“ zu verhängen, so müßte man dem König auch das Recht beilegen, die Reichs- 
gesetze — die Reichsverfassung nicht ausgenommen, außer Wirkung zu setzen und den jetzt im 
Wesentlichen auf den Reichsgesetzen beruhenden Rechtsschutz des Einzelnen aufzuheben. Eine solche 
 
S. 440 ff. N. 19 u. 20, Seydel a. a. O., I S. 159 § 2, Thudichum, Verf.R. S. 295; nicht ganz 
bestimmt Laband, II 537 ff. vgl. m. I 612 ff.  
1) Die weiteren Vorschriften dieses Gesetzes haben hiernach keine Geltung für das Reich; 
s. Hänel und Laband a. a. O.  
2) Die Folgen im Einzeln s. bei Laband und Hänel a. a. O.; unter der vollziehenden 
Gewalt ist die gesammte vollziehende Gewalt, nicht blos die Polizeigewalt, wie Sarwey, I 280 
N. 11 annimmt, zu verstehen; der Militärbefehlshaber erlangt das Recht, die Kompetenzen der bürger- 
lichen Behörden nach seinem Ermessen an sich zu ziehen, oder denselben Weisungen und Aufträge zu 
ertheilen, s. Hänel, S. 436, Laband, II 539. 
3) Das durch das angeführte preuß. Gesetz § 16 dem Staatsministerium übertragene Recht 
der Suspension einiger Verfassungsartikel, auch wenn der Belagerungszustand nicht erklärt wurde, ist 
nach dem Wortlaut der R.V. auf das Reich nicht übertragen worden. Auch der § 17 des preuß. 
Gesetzes (Rechenschaftsablegung gegenüber den Kammern) ist auf das Reich nicht anwendbar. 
 4) S. auch Laband, II 542 zu N. 1, Hänel, I 440, Zorn, I 313, Seydel a. a. O. 
S.158 § 1 ꝛc. 
5) Vgl. auch über diesen Paragraphen R. Römer: Der nordd. Bund und die württ. Freih. 
Tübingen-Freiburg 1867, S. 64.
	        
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