Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

§ 7. Die sog. Grundrechte. 35 
§§ 144—147 die Glaubens- und Gewissensfreiheit im weitesten Umfang durchgeführt hatten, be- 
schränkte man sich zunächst darauf, durch eine K.V. O. vom 5. Oktober 1851 den seit der M.V. 
vom 14. Januar 1849, betr. die Einführung der Grundrechte, bestehenden Rechtszustand der Israeliten 
aufrecht zu erhalten (s. d. gesch. Einl.). Erst ein im Zusammenhang mit der Regelung der katho- 
lischen Kirchenfrage (s. u.) erlassenes Gesetz vom 31. Dezember 1861 sprach die Unabhängigkeit der 
staatsbürgerlichen Rechte vom religiösen Bekenntniß aus. Ein weiteres Gesetz vom 13. August 1864 
wandte diesen Grundsatz noch besonders auf die Israeliten an, jedoch noch immer mit der Be- 
schränkung auf die im Königreich einheimischen Juden. Das Reichsgesetz vom 3. Juli 1869 hat 
dann die vollständige Gleichstellung der verschiedenen Glaubensbekenntnisse nach allen Richtungen zur 
Anerkennung gebracht, unter Aufhebung aller aus dem religiösen Bekenntniß hergeleiteten Be- 
schränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte. Insbesondere soll die Befähigung 
zur Theilnahme an der Gemeinde- und Landesvertretung und zur Bekleidung öffentlicher Aemter 
vom religiösen Bekenntniß unabhängig sein. Durch das württembergische Gesetz vom 9. April 1872 
wurde hierauf die Bildung religiöser Dissidenten-Vereine außerhalb der vom Staat als öffent- 
liche Korporationen anerkannten Kirchen von der staatlichen Genehmigung unabhängig erklärt, 
übrigens vorbehaltlich des von der staatlichen Konzession abhängigen Rechts der juristischen Per- 
sönlichkeit. 
VII. Das Vereins- und Versammlungsrecht ¹). Diese beiden Rechte sind in der V. U. als 
staatsbürgerliche Rechte nicht erwähnt ²), auch fehlt es zur Zeit in Württemberg an einer Regelung 
dieser Rechte bezw. der Vereins- und Versammlungspolizei durch ein umfassendes Staatsgesetz. Das 
Gesetz vom 2. April 1848 betr. die Volksversammlungen beschränkt sich auf einen einzigen Artikel 
und hatte, wie die K.V. O. vom 24. Dezember 1864, nur den Zweck, die vorangegangenen Beschlüsse 
der Frankfurter Bundesversammlung über die Beschränkung des Vereins- und Versammlungsrechts 
wieder zu beseitigen. 
Seit dem Eintritt der süddeutschen Staaten in das Reich ist nun zwar die Gesetzgebung des 
Reichs auch auf das Vereinswesen erstreckt worden (R. V. Art. 4 Z. 16). Das Reich hat jedoch ab- 
gesehen a. von der Bestimmung des R.W. G. v. 31. Mai 1869 § 17 über das Recht, in Wahl- 
angelegenheiten, die den Reichstag betreffen, Vereine zu bilden und in geschlossenen Räumen 
unbewaffnet öffentliche Versammlungen abzuhalten, b. von dem Verbot der Theilnahme an politischen 
Vereinen und Versammlungen für Militärpersonen des aktiven Dienststandes (M. G. § 49) 
und von dem Verbot der Theilnahme von Personen des Beurlaubtenstandes an Ver- 
sammlungen behufs Berathung militärischer Angelegenheiten (M. Str. G. §§ 101, 113), c. von 
den Verboten in §§ 127, 128 u. 129 des Str. G. B. und dem Verbot des Ordens der Gesellschaft Jesu 
im R.G. v. 4. Juli 1872, d. von der Bestimmung über die Schließung der eingeschriebenen 
Hilfskassen in § 29 des R.G. vom 7. April 1876 und Art. 16 der Novelle vom 1. Juni 1884 
und den Vorschriften in §§ 104ᵃ u. 152 der Gew.O., § 79 des Gen.G. vom 1. Mai 1889 ³) 
— mit dem Vereins- oder Versammlungsrecht im Allgemeinen sich nicht befaßt. Soweit daher 
nicht die angeführten reichsgesetzlichen Bestimmungen eingreifen, hängt es in Württemberg in 
Ermangelung besonderer gesetzlicher Schranken der Verwaltungsthätigkeit ganz von dem Ermessen 
der (zuständigen Polizeibehörden ab, in welchem Umfang von dem auf das allgemeine Oberauf- 
sichtsrecht der Staatsgewalt gegründeten Rechte derselben, im Interesse des öffentlichen Wohls Ver- 
eine und Versammlungen jeder Art, also auch durch Abordnung eines Beamten in die Versamm- 
lung zu beaufsichtigen und aufzulösen, Gebrauch gemacht werden will; insbesondere können die in 
Ausübung dieser Befugniß getroffenen Maßregeln der Verwaltungsbehörden weder vor den ordent- 
lichen noch vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden ⁴); es findet vielmehr nur die einfache 
Verwaltungsbeschwerde an die vorgesetzten Polizeibehörden statt ⁵); s. auch unten (Nr. 4). 
 
zwar viele bisherige Beschränkungen derselben aufgehoben, die staatsbürgerlichen Rechte im e. S. 
erhielten sie aber nicht. 
 1) Vgl. hierüber G. Meyer, D. Verw.R. 1 §§ 61 ff., Hänel I 609 ff., Jolly a. a. O. II 666. 
2) Die V. U. § 28 spricht nur von Denkfreiheit, Freiheit der Presse und des Buchhandels. 
3) Zur Schließung bezw. Auflösung sind die Kreisregierungen zuständig, gegen deren Ver- 
fügung Beschwerde an das Ministerium des Innern und gegen dessen Bescheid Rechtsbeschwerde an 
den Verwaltungsgerichtshof zulässig ist.  
4) Nach dem preuß. V. G. v. 11. März 1850 §§ 8 u. 16 kann das Verbot eines Vereins nur 
durch richterliches Urtheil und nur in dem Fall ausgesprochen werden, wenn der Verein den gesetz- 
lichen Bestimmungen nicht entspricht. 
5) Vgl. auch die Entsch. des Verw. Ger. H. v. 2. Okt. 1880 (Württ. Arch. B. 22, S. 294f.) 
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