36 Dritter Abschnitt: Die natürlichen Grundlagen des Staats. II. Die Staatsangehörigen. § 7.
Gesetzlich ist nur folgendes vorgeschrieben:
1. Nach dem angef. Gesetz vom 2. April 1848 betr. die Volksversammlungen ist allen Staats-
bürgern das Recht eingeräumt, zur Besprechung allgemeiner Angelegenheiten ohne vorherige polizei-
liche Erlaubniß, jedoch unter Beobachtung der zur Aufrechterhaltung der Gesetze und der bürgerlichen
Ordnung bestehenden Vorschriften „öffentliche Verfammlungen“ abzuhalten. Solche Versammlungen
sind aber entweder vorher öffentlich bekannt zu machen oder ist hiervon der betr. Ortsbehörde Anzeige
zu machen und zwar jetzt bei Vermeidung der unter Nr. 4 bezeichneten Strafe. Auch dürfen in
öffentlichen Versammlungen keine Waffen mitgeführt werden ¹).
2. Nach Art. 16, 31 und 32 des Gesetzes v. 1. Juni 1853 stehen die Schützengesellschaften
und Bürgerwachen unter der Aufsicht der Orts- und Staatspolizeibehörden. Die Auflösung einer
Schützengesellschaft kann im Interesse der öffentlichen Sicherheit und des allgemeinen Wohls von der
Staatsregierung verfügt werden. Organisirte bewaffnete Corps dürfen ohne Genehmigung der Re-
gierung nicht errichtet werden.
3. Nach Art. 9 des Landespolizeistrafgesetzes vom 27. Dezember 1871 hat Jeder, der einen
politischen Verein mit besonderen Statuten gründet, unter Vorlegung dieser Statuten der Obrigkeit
hievon Anzeige zu machen und ist im Unterlassungsfalle mit einer Geldstrafe bis zu 36 M. zu
bestrafen. Von andern Vereinen mit besonderen Statuten, welche der Regierung zu gegründeten
Besorgnissen Anlaß geben, kann die Vorlegung der Statuten bei gleicher Strafe verlangt werden.
4. Strafbestimmungen gegen gemeinschädliche oder verbotene Vereine im Allgemeinen
bestehen zwar nach dem R. St. G. B. nicht (E.G. § 2); dagegen kann, wenn eine Behörde innerhalb
ihrer Zuständigkeit einen Verein verboten, eine Versammlung aufgelöst hat, ein Ungehorsam gegen
diese Anordnung nach der Vorschrift des Art. 2 der Polizeistrafnovelle vom 12. August 1879
bestraft werden.
5. Die Bildung von religiösen Dissidentenvereinen ꝛc. außerhalb der als öffentliche
Korporationen anerkannten Kirchen ist nach dem Ges. v. 9. April 1872 von einer staatlichen Geneh-
migung nicht abhängig (s. o.). Denselben steht das Recht der freien gemeinsamen Religionsübung
im häuslichen und öffentlichen Gottesdienste sowie die selbständige Ordnung und Verwaltung ihrer
Angelegenheiten zu; doch dürfen sie nach ihrem Bekenntnisse, ihrer Verfassung oder ihrer Wirksam-
keit mit den Geboten der Sittlichkeit oder mit der öffentlichen Rechtsordnung nicht im Widerspruch
stehen. Soweit solche Vereine und Versammlungen auch politische Zwecke verfolgen, nimmt die
Regierung das Recht in Anspruch, dieselben erforderlichen Falls durch Abordnung von Beamten zu
beaufsichtigen.
VIII. Das Recht der freien Wahl des Berufs und der freien Verwerthung der Arbeits-
kraft. Die willkürlichen Beschränkungen, welche zur Zeit des Rheinbundes die Freiheit der württ.
Staatsbürger in der Wahl ihres Berufs und in der Ausbildung zu demselben erfahren hatte ²),
führten zu der Bestimmung der V. U. § 29: „daß Jedem das Recht zustehe, seinen Stand und sein
Gewerbe nach eigener Neigung zu wählen und sich dazu im In- und Ausland auszubilden, mithin
auch auswärtige Bildungsanstalten in Gemäßheit der gesetzlichen Vorschriften zu besuchen“ ³). In
§ 31 wurde ferner bestimmt „daß ausschließliche Handels- und Gewerbeprivilegien nur zu Folge
eines Gesetzes oder mit besonderer, für den einzelnen Fall gültiger Beistimmung der Stände ertheilt
werden können“. Der Grundsatz des freien Gewerbebetriebs wurde erst durch die Gew.O. v. 12. Februar
1862, welche an die Stelle der revidirten Gew. O. vom 5. August 1836 trat, zur Anerkennung gebracht.
Seit dem Eintritt Württembergs in das Deutsche Reich gilt jetzt in dieser Beziehung ausschließlich
die deutsche Gew. O. vom 21. Juni 1869 §§ 1, 29—36 ⁴), wonach der Betrieb eines Gewerbes Jeder-
mann (auch dem Ausländer) gestattet ist, soweit nicht durch die Gew. O. selbst Ausnahmen oder Be-
und Mohl, I S. 377ff. Eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 13 Abfs. 2
des Ges. v. 16. Dez. 1876 nicht zulässig, da es sich hierbei um Verfügungen handelt, welche auf
dem Ermessen der Verwaltungsbehörde beruhen, E. v. 16. Nov. 1887 A. Bl. S. 422.
1) Gesetz v. 1. Juni 1853 Art. 6.
2) S. hierüber Mohl, I S. 409 N. 1.
3) Die Vorschriften über den Besuch der Universitäten, welche in der K.V.O. vom
17. Juni 1818 enthalten sind, wurden durch die späteren Verordnungen über die Dienstprüfungen
in den einzelnen Departements (s. hierüber unten und R. Gaupp, die V. U. ꝛc. S. 46 ff.) vielfach
abgeändert. Von der K.V.O. v. 26. Dezember 1834 betr. den B.T. Beschl. v. 13. Nov. 1834 ist nur
noch Art. II in Geltung, wonach zur Immatrikulation die Vorlegung eines Reifezeugnisses, des
väterl. oder vormundschaftl. Konsenses und eines Führungszeugnisses verlangt wird.
4) Mit den Nov. v. 1. Juli 1883, 8. Dez. 1884, 23. April 1886, 6. Juli 1887 u. 1. Juli
1891, vgl. auch die Württ. V.V. v. 9. Nov. 1883 (R.Bl. 234) u. 26. März 1892 (R. Bl. 59).