38 Dritter Abschnitt: Die natürlichen Grundlagen des Staats. II. Die Staatsangehörigen. § 7.
Werbung ergänzt werden ¹). Erst zur Rheinbundszeit wurde die Aushebung rücksichtslos durchgeführt.
Die V. U. von 1819 sprach dann zwar in § 23 die allgemeine Verpflichtung zur Vertheidigung des
Vaterlandes und die Verbindlichkeit zum Waffendienst aus, jedoch „vorbehältlich der durch die Bundes-
akte und die bestehenden Gesetze begründeten Ausnahmen“; vgl. auch §§ 99 und 100 der V. U.
Diese Ausnahmen, zu welchen namentlich auch das Recht der Stellvertretung gehörte, blieben auch
in den späteren Rekrutirungsgesetzen vom 10. Februar 1828 und vom 22. Mai 1843 in der Haupt-
sache bestehen ²). Erst das in Folge der Bündnißverträge von 1866 erlassene Gesetz vom 12. März
1868 führte die allgemeine Wehrpflicht durch. An die Stelle dieses Gesetzes ist nun aber die Reichs-
Militärgesetzgebung getreten, insbesondere das Reichsgesetz über die Verpflichtung zum Kriegsdienste
vom 9. November 1867, mit den Novellen v. 11. Febr. 1888, 8. Febr. 1890 und 3. August 1893
und die Gesetze v. 28. Febr. 1888 und 8. Febr. 1890, das R. M.G. vom 2. Mai 1874, die Novellen
zu letzterem vom 6. Mai 1880, v. 31. März 1885, 11. März 1887, 27. Jan. 1890 (vgl. Wehr O.
v. 22. Nov. 1888), das Gesetz über den Landsturm vom 12. Februar 1875 und das Kontrol G. v.
15. Februar 1875. Die aus diesen Gesetzen sich ergebenden Grundsätze über die Wehrpflicht find
im Reichsstaatsrechte zu entwickelns ³).
XI. Das Petitions- und Beschwerderecht. 1. Das sog. Petitionsrecht, d. h.
das Recht, einem staatlichen Organ eine Bitte vorzutragen, wird von der V. U. nicht unter
den staatsbürgerlichen Rechten aufgeführt; aber offenbar nur deßhalb, weil dieses Recht
selbstverständlich ist und Jedem, auch dem Ausländer zusteht, aus dem Rechte zu petitioniren
aber noch kein Recht auf Annahme und Beantwortung der Petitionen folgt ⁴). Andererseits
bestehen aber auch keine gesetzlichen Beschränkungen dieser allgemeinen Befugniß ⁵), welche
sowohl gegenüber den Organen der Selbstverwaltung als gegenüber den Staatsbehörden
und der Ständeversammlung ausgeübt werden kann. Ob die Ausübung des Petitionsrechts
durch Behörden oder durch einzelne Beamte oder eine Mehrheit von solchen mit den besonderen
Dienstpflichten vereinbar ist, kann in Ermangelung einer gesetzlichen Bestimmung hierüber
nur aus dem Gesichtspunkte der Disziplin beantwortet werden. Den Gemeinden und anderen
öffentlichen Korporationen steht ein Petitionsrecht nur zu, soweit es sich um Fragen handelt,
welche innerhalb der Aufgaben der Korporation und damit des Geschäftskreises ihrer Ver-
tretung liegen ⁶).
Ueber die Ausübung des Petitionsrechts durch die Ständeversammlung enthält die V. U.
in §§ 124, 179 besondere Bestimmungen; s. u. § 22 V.
2. Das Recht der Beschwerdeführung. Nach § 36 der V. U. hat „Jeder
das Recht, über gesetz- und ordnungswidriges Verfahren einer Staatsbehörde oder Ver-
zögerung der Entscheidung bei der unmittelbar vorgesetzten Stelle schriftliche Beschwerde zu
erheben und nöthigenfalls stufenweise bis zur höchsten Behörde zu verfolgen“. Wird die
angebrachte Beschwerde von der vorgesetzten Behörde unbegründet gefunden, so ist letztere nach
§ 37a. a. O. verpflichtet, den Beschwerdeführer über die Gründe ihres Urtheils zu belehren.
Glaubt der Beschwerdeführer sich auch bei der Entscheidung der obersten Staatsbehörde nicht
1) Vgl. das Nähere bei Mohl, II S. 658 f. und Pfaff, Gesch. des Mil.-Wesens in
Württemberg 1842. Die Einführung des stehenden Heeres seit der Regierung Herzog Eberhard
Ludwigs († 1733) bildete bis zur Aufhebung der altwürtt. Verfassung die Quelle fortwährender
Streitigkeiten zwischen Regierung und Ständen.
2) Die w. Ges. v. 1. April 1848 und 3. Okt. 1849, sowie das Ges. v. 30. März 1849 hatten
nur vorübergehende Geltung; s. das Ges. v. 10. Jan. 1852 und v. 1. Juni 1853.
3) S. Laband in diesem Handbuch II1 S. 237 und R. St. R. II 621 . Zorn, 1 S. 280,
346 ff. — Ueber die Organisation der Ersatzbehörden s. u. § 116.
4 S. auch Laband, R. St. R. I S. 283 zu N. 3; s. übrigens auch Jellinek, System ꝛc., S. 125.
5) Ueber die frühere Beschränkung durch den Frankf. Bundestag s. Mohl, I S. 426.
6) S. auch Boscher, Z. XXXV, S. 88. A. M. nämlich für ein unbeschränktes Petitions-
recht der Gemeindevertretung auch in allgemeinen politischen Fragen: Mohl in der Tüb. Ztschr. IV.
137 ff.; s. dagegen Gerber, öff. Rechte, S. 79.