40 Dritter Abschn.: Die natürl. Grundlagen d. Staats. III. Sonderrechte einzelner Klassen. § 8.
einzelnen Falls zuständigen höchsten Staatsbehörde beobachtet, also in der Regel die
Ministerialinstanz zuvor angerufen worden ist. Ueberzeugen sich die Stände, daß
dies geschehen und daß die Beschwerde eine Berücksichtigung verdiene, so ist ihnen
nach § 38 der V. U. vom Staatsministerium die nöthige Auskunft über den Gegen-
stand zu ertheilen. Selbstverständlich können jedoch die Stände die angefochtene
Verfügung nicht abändern, sondern höchstens eine Verwendung zu Gunsten der
Beschwerde bei der Regierung einlegen, welche Verwendung in die Form der Vor-
stellung, der Bitte, oder der Beschwerde gekleidet werden kann ¹).
Da die Staatsregierung gegenüber von richterlichen Entscheidungen, und zu diesen
gehören auch die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs, zu einem sachlichen Eingreifen
nicht berechtigt ist, so kann sich in Justizsachen die Verwendung nur auf Fälle der Justiz-
verweigerung oder Justizverzögerung, sowie auf andere Handlungen eines Richters erstrecken,
welche zur Ausübung des Oberaufsichtsrechts Anlaß geben können; auch kann die Stände-
versammlung durch die Beschwerde sich veranlaßt sehen, nach § 124 der V. U. auf eine
Aenderung der Gesetzgebung hinzuwirken ²). Dasselbe muß auch von solchen Entscheidungen
der „obersten Staatsbehörde“ gelten, welche als der Rechtskraft fähig, für diese Behörde
unabänderlich geworden sind.
III. Kapitel.
Die Sonderrechte einzelner Klassen der Staatsangehörigen ³).
§ 8. A. Die Mitglieder des Königl. Hauses. I. Bis zur Auflösung des Deutschen
Reiches (1806) stand den Mitgliedern der landesherrlichen Familien die Reichsunmittel-
barkeit zu. Sie standen weder unter der Landeshoheit noch unter der Gerichtsbarkeit des
Landesherrn ⁴). Die Regelung der familienrechtlichen Verhältnisse beruhte auf der Autonomie
der Agnaten, soweit nicht etwa die Reichsgesetzgebung eingriff; im Uebrigen galt das sog.
deutsche Privatfürstenrecht ⁵).
Mit Auflösung des Deutschen Reichs nahm der König von Württemberg in Aus-
übung der unbeschränkten Gewalt auch das Recht in Anspruch, die rechtlichen Verhältnisse
der Mitglieder des Königl. Hauses, als nunmehriger Unterthanen einseitig durch ein Haus-
gesetz vom 1. Januar 1808 zu ordnen. Die V. U. von 1819 suchte dann dieser, auch von
den Agnaten beanstandeten Gesetzgebung gegenüber den Rechtszustand der Mitglieder des
Königl. Hauses dadurch zu sichern, daß sie in § 18 bestimmte, es sollen die Verhältnisse
derselben zum König als Oberhaupt der Familie und unter sich ⁶) in einem eigenen Haus-
gesetze bestimmt werden. Dies geschah durch das mit den Ständen verabschiedete Hausgesetz
1) S. auch Bitzer S. 374. Die übliche Formel lautet entweder auf Uebergabe zur „Berück-
sichtigung“ oder zur „Erwägung“ oder nur zur „Kenntnißnahme"“.
2) Ueber die Beschwerde wegen verweigerter oder gehemmter Rechtspflege an den Bundesrath
s. R.V. § 77 und Laband, St. R. I S. 248, II S. 367.
3) Unter dieser Rubrik sind neben den Mitgliedern des königl. Hauses nur die Standes-
herren und die Ritterschaft aufzuführen. Die besondere Stellung der Militärpersonen ist im R. St. R.
zu erörtern; vgl. hierüber Laband, R. St. R. II §§ 105, 106.
Gesetzlich benachtheiligte Klassen kennt das heutige Recht nicht; bezüglich der früheren Stellung
der Juden — vor der Gesetzgebung des Jahres 1848 — s. Mohl, I S. 516 ff.
4) S. P. Roth, System des deutschen P.R. I S. 396 und Fricker. und Geßler a. a. O.
S. 122 ff.
5) S. hierüber Häberlin, Deutsches Staatsrecht, Bd. III § 443 ff. und die dort angef.
Schriften von Pütter, Joh. Chr. Maier und Moser, ferner Zöpfl I 585 f. und bezüglich des
württemberg. Hausgesetzes v. 13. Dez. 1803: Reyscher, Staatsgrundgesetze Bd. 1 Einl. S. 240 ff.;
Fricker und Geßler a. a. O. S. 104.
6) Vgl. auch Fricker, V. U. S. 15 ff., 96, 175, 227.