Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

50 Dritter Abschn.: Die natürl. Grundlagen d. Staats. III. Sonderrechte einzelner Klassen. § 10. 
Im November 1805, also noch vor Abschluß des Preßburger Friedens, hatte sich Württem- 
berg im Einverständniß mit Napoleon in den Besitz der innerhalb der Landesgrenzen befindlichen 
reichsritterschaftlichen Besitzungen gesetzt, worauf die rheinische Bundesakte (Art. 25) dem König von 
Württemberg förmlich die Souveränetät über diese Gebiete übertrug (s. d. Einl.). Besondere Rechts- 
vorbehalte für die Ritterschaft waren hierbei nicht gemacht und das Organ. Manifest vom 18. März 
1806 sowie die nachfolgenden Gesetze der Rheinbundszeit stellten sie, in ähnlicher Weise wie die 
Standesherren, abgesehen von den Titeln und einigen unerheblichen Ehrenrechten ganz den übrigen 
Unterthanen gleich (s. o. S. 46) ¹). 
Die Bundesakte von 1815 garantirte dann in Art. 14 auch der ehemaligen Reichsritterschaft 
einen bevorzugten Rechtszustand, insbesondere die daselbst in Abs. 4 bezeichneten Rechte. Die Aus- 
führung dieser Bestimmung erfolgte durch das bereits in § 9 erwähnte Adelsstatut von 1817 (II. Beil. 
zum Verf. Entw. von 1817), in welchem übrigens der landsässige dem vormals reichsritterschaft- 
lichen Adel völlig gleichgestellt wurde ²). Die V. U. von 1819 schloß sich an dieses Adelsstatut an, 
indem sie in den §§ 39—42 beide Klassen des Adels unter dem Namen des „ritterschaftlichen Adels" 
zusammenfaßte. Die in diesen Paragraphen in Aussicht genommene Bildung ritterschaftlicher Kor- 
porationen ist jedoch nicht zur Ausführung gelangts ³). Da der Adel bei den Bestimmungen des 
Statuts sich nicht beruhigte, erließ die Regierung nach vorgängigen Unterhandlungen mit den Be- 
theiligten am 8. Dezember 1821 eine „Declaration der staatsrechtlichen Verhältnisse des vormals 
reichsunmittelbaren Adels“. Durch eine K.V.O. vom 24. Oktober 1825 wurde dann diese Dekla- 
ration auch auf den altlandsässigen Adel, jedoch gegen Verzichtleistung des letzteren auf die Patri- 
monial- und Forstgerichtsbarkeit und Ortspolizei insoweit ausgedehnt, als die diesfallsigen An- 
sprüche in dem Besitzstande vor dem 10. Mai 1809 begründet und nicht durch neuere Verträge oder 
sonstige Rechtstitel bereits erloschen waren ⁴).  
Ueber die Gesetzgebung seit dem Jahre 1848 gilt ganz das in den vorhergehenden Para- 
graphen bezüglich der Standesherren Bemerkte. 
II. Nach dem geltenden Rechte ist die Zugehörigkeit zur württemberg. Ritterschaft 
bedingt ⁵): 
1. Durch den Besitz des württemberg. Staats-Bürgerrechts; vgl. 
auch § 135 Z. 1 der V. U. ⁶). Gegenüber den Standesherren besteht hierbei faktisch der 
Unterschied, daß die vormals reichsritterschaftlichen Familien nicht schon durch den Besitz 
ihrer 1806 mediatisirten Besitzungen das württemberg. Staats-Bürgerrecht unter der 
Herrschaft des Art. 14 der B.A. erlangt haben. Die Schranken, welche die Deklaration 
von 1821 bezüglich des Besitzes eines mehrfachen Staats-Bürgerrechts seitens der in 
mehreren deutschen Staaten angesessenen ritterschaftlichen Gutsbesitzer enthielt, sind durch 
die Reichsgesetzgebung aufgehoben. Zur Familie gehören nur diejenigen Seitenverwandten 
eines Rittergutsbesitzers, welche Descendenten des ersten Erwerbers des Ritterguts sind. 
Nur diese haben ein Recht auf die unter III. erörterten persönlichen Vorrechte der Familien- 
mitglieder ⁷). 
2. Durch den Besitz oder Mitbesitz eines adeligen Guts, d. h. eines Guts, 
Zachariä, Deutsches Staatsrecht § 101; Roth v. Schreckenstein, Gesch. d. R.R. (1857, 
1871); auch Mohl, I S. 495 ff. 
1) Wächter a. a. O. S. 812; die Aufhebung der Fideikommisse ꝛc. (s. o. S. 46 zu N. 3) 
traf auch die Ritterschaft. 
2) Wächter a. a. O. S. 924 f., 929 f. 
3) S. Mohl, I S. 512. 
4) Auch die Giltigkeit der Dekl. v. 1821 und der V.O. v. 1825 — als nach der Verfassung v. 
1819 erlassen — ist beanstandet; vgl. über diese jetzt kaum mehr praktische Frage Wächter, I S. 930 ff., 
und oben S. 46 N. 5 a. E. Zweifel können namentlich bezüglich des früher landsässigen Adels 
bestehen, sofern man mit Mohl, 1 S. 499 dem Adelsstatut v. 1817 keine Gesetzeskraft beilegt. Der 
Charakter eines Staatsvertrags kommt jedenfalls weder dieser, noch den standesherrlichen Deklarationen zu. 
5) Die Zahl der in der Realmatrikel aufgeführten und hiernach zur Landtagswahl berech- 
tigten ritterschaftlichen Familien beträgt nach dem bei der letzten Wahl zur Abg.Kammer veröffent- 
lichten amtlichen Verzeichnisse (R. B. v. 1888 S. 354 ff.) im Ganzen 85. Die Zahl der stimm- 
berechtigten Gutsbesitzer ist jedoch größer, da auch der kleinste Antheil an einem immatrikulirten 
Gute Stimmrecht verleiht (z. Z. einschl. der wegen Militärdiensts ruhenden Stimmen 161). 
6) Mohl, 1 S. 501, 503. 
7) S. d. Entsch. des O. L.G. Stuttgart, Jahrb. d. W. R. III, 287 f. 
 
	        
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