54 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Staates. I. Der König. § 11.
3. Abstammung aus einer mit Bewilligung des Königs geschlossenen Ehe,
soweit es sich um die Succession im Mannsstamme handelt. Der König kann zwar seine
zuvor verweigerte Zustimmung nachträglich ertheilen; allein in diesem Falle werden nur
die nach der Einwilligungserklärung erzeugten Kinder successionsfähig ¹).
II. Die Thronfolgeordnung. Das Recht der Thronfolge gebührt dem Mannsstamme
des Königl. Hauses in der Linealerbfolge nach dem Erstgeburtsrechte ²). Erlöscht der
Mannsstamm, so geht die Thronfolge auf „die weibliche Linie“ ohne Unterschied des
Geschlechts über, und zwar in der Weise, daß die Nähe der Verwandtschaft ³) mit dem
zuletzt regierenden König und bei gleichem Verwandtschaftsgrade das natürliche Alter den
Vorzug gibt ⁴). Bei der Descendenz des sodann regierenden Königl. Hauses tritt jedoch
das Vorrecht des Mannsstammes wieder ein. V. U. § 7. In dem neuen Mannsstamme
findet hiernach auch die Linealerbfolge nach dem Erstgeburtsrechte statt ⁵).
Stirbt dann dieser neue Mannsstamm wieder aus, so tritt in Anwendung des § 7
der mit dem letzten König aus diesem Mannsstamme („mit dem sodann regierenden
Königl. Hause“) nächstverwandte Kognat ein, so daß also die Succession nicht auf die noch
vorhandenen kognatischen Mitglieder der ersten Regentenfamilie zurückgeht ⁶); ebensowenig
werden in diesem Falle die Agnaten in den Seitenlinien desjenigen Hauses, aus welchem
der kognatische Begründer der neuen Familie stammt, berufen, da der Mannsstamm der
neuen Linie erst mit dem kognatischen Stifter derselben beginnt. Die rechtmäßige eben-
bürtige Abstammung des berufenen Kognaten kann selbstverständlich nur nach dem für die
bisherige Familie des letzteren geltenden Rechte beurtheilt werden; nur muß diejenige Ehe,
durch welche die Prinzessin, um deren Nachkommen es sich handelt, aus der Königl.
Familie ausgeschieden ist, mit Einwilligung des Königs von Württemberg abgeschlossen
worden sein. Das württemberg. Recht adoptirt hiernach weder das Erbfolgerecht der sog.
Regredienterbin, noch dasjenige der Erbtochter, sondern enthält eine von beiden Systemen
abweichende Normirung im Sinne des Linealgradualsystems ⁷).
III. Der nach der Erbfolgeordnung zur Succession berufene Thronfolger erwirbt
1) S. auch Mohl, I S. 161f.
2) Unter mehreren, vom Stifter abstammenden Linien hat stets die ältere den Vorzug vor
der jüngern, R.G.E. XIV, S. 229.
3) Offenbar nach civilrechtlicher Komputation; vgl. auch Mohl, 1 S. 166 N. 14.
4) Unter den Worten „die weibliche Linie“ (V. U. § 7) kann nur die Linie des letzten
Königs aus dem Mannsstamm, also zunächst seine eigene weibliche Descendenz und wenn keine
solche vorhanden ist, die Linie, welcher er selbst angehörte, wenn aber in dieser keine Kognaten vor-
handen sind, die folgende Parentel verstanden werden. In der so zunächst berufenen Linie entscheidet
dann ohne Unterschied des Geschlechts die Nähe der Verwandtschaft mit dem verstorbenen König,
so daß z. B. ohne Rücksicht auf Primogenitur die Tochter dem Enkel aus einer vorverstorbenen
Tochter, nicht aber diesem die Schwester des Verstorbenen vorgeht. Die erste Succession des Weiber-
stammes erfolgt also nach dem sog. reinen Linealgradualsystem. Aus den ständischen Verhand-
lungen v. 7. Sept. 1819 (Fricker, V. U. S. 219) kann gegen den Wortlaut des Gesetzes und im
Widerspruch mit den Grundsätzen der deutschrechtlichen wie der römischrechtlichen Erbfolge das reine
Gradualsystem nach richtigen Auslegungsgrundsätzen nicht gefolgert werden, denn die Debatte führte
zur unveränderten Annahme des Entwurfs nach Zurückweisung der auf offenbar unrichtigen Voraus-
setzungen beruhenden Abänderungsanträge; s. auch Reyscher, Publ.Verf. S. 275 f., u. Zöpfl a. a.
O. S, 709 N. 8, Schulze, Lehrb. I 227 N. 2; A. M. Mohl, 1 S. 166 N. 14 und Sarwey,
5) Ueber die Einführung der Primogeniturordnung in Württemberg s. d. Einl. S. 2 N. 7.
6) Dies ergiebt sich aus dem angeführten § 7, welcher den neuen Mannsstamm als ein
neues Königl. Haus behandelt; vgl. auch Mohl, 1 S. 163.
7) Eine Verletzung vorhandener Rechte der Kognaten liegt in dieser Bestimmung der V. U.
nicht, da denselben ein Recht des Widerspruchs nach dem Grundsatze der Stammgutserbfolge — auch
abgesehen von den sog. Fräuleinverzichten — nicht zustand; aber nicht wegen des bis 1805 be-
standenen österr. Anwartschaftsrechts (s. d. Einl.); denn dieses war auf diejenigen Besitzungen be-
schränkt, welche der Herzogsbrief von 1495 umfaßte.