70 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Staates. I. Der König. § 18.
§ 18. V. Die privatrechtlichen Verhältnisse des Königs. Der Grundsatz, daß auf
die privatrechtlichen Verhältnisse des Staatsoberhauptes das im Staate geltende Privat-
recht, soweit dieses nicht selbst eine Ausnahme für den Regenten macht, Anwendung findet,
ist zwar in der Theorie wie in der Praxis der meisten Staaten Deutschlands anerkannt.
Allein, obgleich diese Auffassung früher in Württemberg nie beanstandet worden und auch
nach Erlangung der Souveränetät Seitens der württemberg. Könige von der großen Mehr-
heit der Rechtslehrer vertheidigt worden war ¹), so hatte doch das oberste Landesgericht seit
einer Reihe von Jahren die nothwendige Konsequenz dieses Grundsatzes — die Zulässigkeit
des Rechtsweges gegen den Regenten in Privatangelegenheiten desselben geläugnet, indem
es vielmehr den entgegengesetzten Grundsatz des römischen Kaiserrechts und des absoluten
Staats für eine Folge der Souveränetät des Staatsoberhauptes erklärte ²); und die
württemberg. C. P.O. von 1868 hatte in Art. 15 diese Auffassung sanktionirt ³).
Erst durch § 5 des E.G. zur R.C. P.O. wurde der Rechtssatz, daß das allgemeine
Privatrecht auch auf den König Anwendung findet, wenigstens in Beziehung auf vermögens-
rechtliche Ansprüche Dritter zur Wahrheit gemacht, indem diesen Ansprüchen der gerichtliche
Schutz auch gegen das Staatsoberhaupt verliehen wurde, und das württemberg. A.G.
zur C. P.O. hat diese Bestimmung jetzt ausgedehnt auf alle bürgerlichen Rechtsstreitig-
keiten, welche das Privatvermögen des Königs betreffen, ohne Unterscheidung zwischen den
Ansprüchen Dritter und der Angehörigen des Königl. Hauses selbst (s. u. 9 80 B).
Bezüglich aller anderen Rechtsverhältnisse des Königs finden zwar die Privatrechts-
gesetze Anwendung, es fehlt aber bei Lebzeiten des Königs der gerichtliche Rechtsschutz.
Was insbesondere
1. die Ehe des Königs anbelangt, so finden die reichsgesetzlichen Vorschriften über
die Erfordernisse der Eheschließung (R.G. v. 6. Febr. 1875 §§ 28— 40, 72) auch auf
den König Anwendung. Soweit es einer Dispensation bedarf, kann der König sich diese
selbst ertheilen ⁴). Ebenbürtigkeit der Gemahlin ist für die Giltigkeit der Ehe nicht er-
forderlich. Der König kann auch einer nicht standesmäßigen Gemahlin alle äußern Ehren-
rechte einer Königin verleihen; nur können die aus einer solchen Ehe entsprossenen Kinder
niemals Erbfolgerecht erlangen, auch beziehen eine solche Königin und ihre Nachkommen
die besonderen verfassungsmäßigen und hausgesetzlichen Einkünfte aus der Staatskasse nicht ⁵).
Bei Ehestreitigketen steht zwar dem König ein Klagerecht unzweifelhaft zu, da haus-
gesetzliche Bestimmungen hierüber nicht bestehen; dagegen findet nach Art. 2 des A.G.
z. C.P.O. und dem angef. § 5 des E.G. ein Klagerecht gegen den König nicht statt,
auch ist nicht ausgeschlossen, daß der König seine eigene Ehe durch Rescript scheidet oder
für nichtig erklärt; denn wenn auch eine Scheidung durch Rescript nach § 76 des Ges.
v. 6. Febr. 1875 nicht mehr statthaft wäre ⁶), so findet doch nach § 72 dieses Gesetzes
1) Val. Weishaar, Württ. Priv. R. Bd. I S. 443—448, Pfizer, Ueber die Grenzen der
Verw. u. Civil-J. S. 183, Scheurlen, C. Pr. Bd. I § 33, Reyscher, Württ. Priv. R. 1 § 76,
197, Mohl, 1 S. 189, 277, Wächter, II S. 73ff. Mit Recht hebt Wächter a. a. O. den engen
Zusammenhang hervor, der zwischen der Anwendung der Privatrechtsnormen auf den König und
der Zulässigkeit des Rechtswegs gegen denselben besteht.
2) So schon früher Hufnagel in Sarwey's Monatschr. Bd. I S. 512, Bd. XII S. 397;
dann die Entsch. des Württ. Obertrib. bei Berner-Schäfer, C.Pr. S. 91 N. 1.
3) Vgl. auch die Mot. zum Württ. Ausf.G. zur C. Pr. O. und im Uebrigen Gaupp, Komm.
z. C. Pr. O. Bd. III S. 590 der 1. Aufl. und die dort angef. Prot. der Justizkommission des
Reichstags.
4) Wächter, Württ. Priv. R. II S. 76 zu N. 12.
5) Ueber die Ernennung des Standesbeamten und die Führung der Standesregister für das
Königl. Haus s. oben S. 42.
6) S. übrigens hierüber L. Gaupp, Komm. z. C. Pr. O. B. II S. 156 N. 14 der 2. Aufl.