82 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Staates. II. Die Ständeversammlung. § 21.
Verwaltung, wie jeder andere Domanialaufwand bestritten wurde. Die allmählig sich heraus-
stellende Insuffizienz dieses Gutes für die Kosten des sich entwickelnden Partikularstaates und seines
Hofhaltes, die zunehmende Belastung desselben mit Schulden, die Nothwendigkeit ständischer Bei-
hilfe zum Zwecke der Ablösung dieser Schulden, die Inkorporation des Kammergutes in den Ver-
band der Landschaft, die verfassungsmäßige Unveräußerlichkeit desselben und manche andere Um-
stände verliehen diesem Gute, zumal seitdem sich im Gegensatze zu demselben ein besonderes, der
Regentenfamilie ausschließlich gehöriges Familienfideikommißvermögen im 16. und 17. Jahrhundert
entwickelt hatte ¹), mehr und mehr den Charakter eines Staatsvermögens-Complexes. Zur for-
mellen Anerkennung gelangte jedoch diese Entwickelung erst durch die V. U. von 1819, nachdem
zuvor — am 2. Januar 1806 — auch das seit der Reformation besonders verwaltete evangelische
Kirchengut dem Staatskammergut einverleibt worden war.
Das Kammergut ist ein vom Königreiche unzertrennliches Staatsgut. Dasselbe wird
gebildet durch sämmtliche zu dem vormaligen württemberg. Familienfideikommiß gehörigen,
nicht durch einen besonderen Rechtstitel an einen anderen Eigenthümer, z. B. an das Hof-
domänenkammergut (das jetzige Familienfideikommiß des Königl. Hauses) übergegangenen,
sowie durch die vom Staate später dazu erworbenen Grundstücke, Gefälle und nutzbaren
Rechte, wohin jetzt insbesondere auch die Staatseisenbahnen und die Staatsgewerbe ge-
hören ²). Auf dem Kammergute haftet in erster Linie die Verbindlichkeit zur Bezahlung
der Civilliste, sowie der an die Mitglieder des Königl. Hauses zu reichenden Apanagen,
Wittume ꝛc. Aus dem übrigbleibenden Ertrage ist der mit der Staatsverwaltung ver-
bundene Aufwand zu bestreiten.
Dieses Gut, dessen Verwaltung ausschließlich der Regierung zusteht, ist nach der
Verfassung in seinen wesentlichen Bestandtheilen zu erhalten und kann seitens der Regie-
rung weder durch Veräußerung vermindert, noch mit Schulden oder sonst mit einer
bleibenden Last beschwert werden. Doch soll es nicht als eine unerlaubte Verminderung
des Kammergutes angesehen werden, wenn zu einer entschieden vortheilhaften Erwerbung
ein Geld-Anlehen ausgenommen oder zum Vortheile des Ganzen eine Veräußerung oder
Austauschung einzelner minder bedeutender Bestandtheile desselben vorgenommen wird.
Unter solchen Geld-Anlehen sind jedoch gewöhnlich Staatsschulden nicht zu verstehen, da
diese nicht auf dem Kammergute als solchem haften, sondern auf den Kredit des Landes
aufgenommen werden; s. u. Zur Kontrolle der Verwaltung stehen den Ständen folgende
Rechte zu ³):
a) In jedem Jahre muß den Ständen, und wenn diese nicht versammelt sind, dem
Ausschuß Nachweis über die Grundstocksveränderungen gegeben, ins-
besondere eine genaue Berechnung über den Erlös aus Veräußerungen minder
bedeutender Bestandtheile des Kammergutes und über dessen Wiederverwendung
zum Grundstocke vorgelegt werden. (V. U. § 107).
Hierbei wird namentlich auch die Verwendung der zu letzterem gehörigen Gelder (wie z. B.
der in Folge der Ablösungsgesetzgebung an die Staatskasse abgelieferten Gilt- und Zehntablösungs-
gelder) nachgewiesen. Außerdem wird bei der Vorlegung des Hauptfinanzetats in den Spezial-
etats über die unmittelbaren Einnahmen der Staatshauptkasse, anläßlich der Berechnung der
Zinsen aus dem Kapitalvermögen der Grundstocksverwaltung Mittheilung über die Art der An-
legung der verfügbaren Gelder gemacht. Soweit diese Gelder nicht zur Wiedererwerbung von
Immobilien oder zur Abfindung von Lasten des Kammergutes zu verwenden sind, werden die-
selben in württemberg. Staatsschuldverschreibungen verzinslich angelegt und ohne Zustimmung
1) S. o. S. 66.
2) V. U. §§ 102, 103. Eine Zusammenstellung der einzelnen zum Finanzvermögen des Staates
gehörigen Bestandtheile des Kammergutes f. u. § 60. Selbstverständlich gehören zum Kammergute
— wenn auch nicht zum Finanzvermögen des Staates — auch die, einzelnen Staatsinstituten zur
Erfüllung ihrer Aufgaben zugewiesenen Grundstücke (Verwaltungsvermögen).
3) Die Feststellung der Grundsätze über die Grundstocksverwaltung, worüber bis jetzt ein
Gesetz nicht zu Stande gekommen, ist von besonderer Wichtigkeit, weil den Ständen gegenüber dem
sehr bedeutenden Grundstocksvermögen nur das Recht der nachträglichen Kontrolle, nicht der etats-
mäßigen Verwilligung zusteht.