8.6. Entstehung staatsrechtlicher Rechtssätze etc. 15
delt, welche dem Einflusse der fortschreitenden Rechts-
bildung im Staate überhaupt entrückt sein sollen.*e Die
Uebung staatsrechtlicher Sätze, in der sich die entschei-
dende Rechtsüberzeugung ausprägt, kann in einem wei-
teren und engeren Kreise hervortreten; sie wird vorzugs-
weise in Handlungen desjenigen Personenkreises bestehen,
der in der Sphäre des fraglichen Rechtssatzes ausschliess-
lich oder hauptsächlich zur Thätigkeit berufen ist.’ Im-
mer aber wird dem staatsrechtlichen Gewohnheitsrechte
schweigend zugestimmt haben. Müsste man diess nicht durch die
Vorstellung ergänzen, die Stände hätten sich vor der Sitzung
darüber verständigt, dass heute mit stummer Geberde ein Gewohn-
heitsrecht „gemacht‘‘ werden solle?
6 Welches diese höchsten Prinzipien sind, lässt sich freilich
nicht allgemein, oft nicht einmal vom Standpunkte einer bestimm-
ten Verfassung aus sagen. Die Extreme werden nach beiden
Richtungen hin immer klar sein, während eine Reihe von Mittel-
punkten zweifelhalft bleibt.
? Hier werden demnach namentlich Uebungshandlungen des
Monarchen, der Stände und der Vertreter der Regierung, nach
Umständen auch gewöhnlicher Behörden in Frage kommen. Nur
dürfen diese Handlungen nie anders denn als die (allerdings be-
festigenden) Symptome einer über ihnen stehenden Rechtsüber-
zeugung angesehen werden, also niemals so, als wären sie selbst
die rechtserzeugenden Momente. Ebenso dürfen jene Behörden
und Stände nicht so aufgefasst werden, als wäre das „Recht-
machen“ in diesen Handlungen ihr amtlicher Beruf; es tritt nur
an und in letzteren die nationale Rechtsüberzeugung zu Tage. Vor
Allem aber sind diejenigen Handlungen auszuscheiden, welche
den Charakter einer bewussten, wenn auch stillschweigenden Kon-
nivenz haben, z. B. wenn zwei Kammern stillschweigend überein-
kommen, auf die bezüglich ihres gegenseitigen Verhältnisses durch
die Verfassung gegebenen Ansprüche (z. B. die Forderung eines
Zusammentritts beider Kammern in gewissen Fällen) zu ver-
zichten. Endlich gehört auch nicht hierher die Entscheidung
(das Präjudiz) einer Behörde, wo der Grund derselben die eigen-
thümliche Auffassung eines bestehenden Gesetzes ist, die Ent-
scheidung also sofort sich ändern würde, wenn ein Bewusstsein