Die strafbaren Handlungen im allgemeinen 85
Bewußtlosigkeit (z. B. im Fieberdelirium oder in einem
Traumzustand oder in sinnloser Betrunkenheit) oder von krankhafter
Störung der Geistestätigkeit (Geisteskrankheit) befand, durch
welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war. Das
gleiche gilt im Falle des Zwange,s, d. h. wenn der Täter durch un-
widerstehliche Gewalt oder schwere Drohungen zur Tat gezwungen
wurde, oder wenn er in Notwehr handelte. In Notwehr aber be-
findet sich, wer sich oder einen anderen gegen einen gegenwärtigen,
rechtswidrigen Angriff verteidigt. Geht jedoch der Täter bei seiner
Notwehr weiter, als zur Verteidigung notwendig ist, so macht er sich
strafbar, es sei denn, daß er die Grenzen der Notwehr nur infolge von
Bestürzung, Furcht oder Schrecken überschreitet.15 Eine an sich straf-
bare Handlung bleibt endlich auch dann noch straflos, wenn sie (ab-
gesehen von dem Falle der Notwehr) in einem unverschuldeten, auf
andere Weise nicht zu beseitigenden Notstande zur Rettung aus
einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Täters oder
eines Angehörigen begangen worden ist.
Nicht gerichtlich geahndet werden Handlungen, die von straf-
unmündigen Kindern, d. h. von solchen unter 12 Jahren,
begangen worden sind. Jugendliche Personen im Alter von
12 bis 18 Jahren werden gerichtlich nur bestraft, wenn feststeht, daß
sie zur Zeit der Tat die zur Erkenntnis der Strafbarkeit ihrer Hand-
lung erforderliche Einsicht besessen haben. Bei ihnen tritt alsdann
eine mildere Bestrafung als bei Erwachsenen ein. Todesstrafe oder
Zuchthausstrafe darf gegen sie überhaupt nicht ausgesprochen, und in
besonders leichten Fällen kann gegen sie auch auf einen bloßen Ver-
weis erkannt werden. Kinder und jugendliche Personen, deren ge-
richtliche Bestrafung wegen mangelnder Erkenntnisreife nicht statt-
haft ist, können vom Gericht einer Erziehungs= oder Besserungsan-
stalt überwiesen werden.
"55 Wenn z. B. ein in Raufhändeln wohl erfahrener Bauernbursche,
von einem unbewaffneten Kameraden angegriffen und mit Schlägen bedroht,
diesen niedersticht, anstatt sich mit seinem kräftigen Stock zu wehren, so
handelt er zwar in Notwehr, aber in strafbarer Ueberschreitung derselben.
Macht dagegen ein in einsamer Gegend von einem Vagabunden in räuberi-
scher Absicht angegriffener Wanderer in seiner Aufregung und Furcht von
einer Schußwaffe Gebrauch, obwohl er sich seinen Körperkräften nach auch
mit seinem Stocke wehren könnte, so wird diese Ueberschreitung der Notwehr
für straflos zu erachten sein.
*" Im Notstand handelt z. B. eine aus irgendwelchen Gründen ein-
geschlossene Person, die, um sich vor dem Verhungern zu schützen, fremde
Nahrungsmittel sich aneignet. Auch der furchtbare Fall, daß Schiffbrüchige
einen ihrer durch das Los dazu bestimmten Genossen töten und verzehren,
gehört hierher.
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