Das Beweisverfahren 203
kunden. Während die ersteren keines Echtheitsbeweises bedürfen,
da dieser sich aus ihrer Form ergibt, muß die Echtheit der Privat—
urkunden, falls sie bestritten wird, bewiesen werden, was insbesondere
durch Zeugen oder durch Eideszuschiebung (s. Nr. 608) sowie unter
Umständen durch Schriftvergleichung geschehen kann.
Befindet sich eine Urkunde, auf welche eine Partei sich berufen
will, in den Händen des Gegners, so kann von diesem die Heraus—
gabe insbesondere dann verlangt werden, wenn sie ihrem Inhalte
nach für beide Teile gemeinschaftlich ist, oder wenn der Gegner selbst
im Prozesse zur Beweisführung auf sie Bezug genommen hat. Be—
hauptet der Gegner, er besitze die Urkunde nicht, so ist er auf Antrag
verpflichtet, über die Unmöglichkeit der Herausgabe (lat. — editio)
den sog. Editionseid dahin zu leisten, daß er weder die Urkunde
besitze, noch sie beseitigt habe, noch wisse, wo sie sich befinde.
4. Der Parteieid.
Wer eine Tatsache behauptet, kann zu deren Beweis dem sie be—
streitenden Gegner den Eid zuschieben, d. h. er kann verlangen,
daß der Gegner die Nichtwahrheit der Behauptung beschwöre. Will
der Gegner den Eid nicht selbst leisten, so kann er ihn an die Gegen-
partei zurückschieben, d. h. verlangen, daß diese selbst die Wahr-
heit ihrer Behauptung beschwöre. Da aber niemanden eine Eides-
leistung über eine Tatsache zugemutet werden darf, von der er keine
eigene Kenntnis haben kann, so ist die Eideszuschiebung oder -Zurück-
schiebung nur zulässig über solche Tatsachen, welche der Schwurpflich-
tige selbst oder seine Rechtsvorgänger oder Vertreter wahrgenommen
haben, oder welche in eigenen Handlungen dieser Personen bestehen.
Ueber eigene Handlungen und Wahrnehmungen des Schwurpflich-
tigen darf dieser den Eid in der Regel nur als sog. Wahrheits-
eid leisten, d. h. er muß unmittelbar die Wahrheit oder Unwahrheit
beschwören. Ueber Handlungen und Wahrnehmungen seiner Rechts-
vorgänger oder Vertreter dagegen kann ihm der Natur der Sache nach
regelmäßig nur der sog. Ueberzeugungseid auferlegt werden,
er habe nach sorgfältiger Prüfung und Erkundigung die Ueberzeu-
gung erlangt, daß die Tatsache nicht wahr oder daß sie wahr sei.
½ Z. B. kann jemand, der auf Rückgabe einer ihm zur Aufbewahrung
übergebenen Sache verklagt ist, dem Kläger selbstverständlich nicht etwa den
Eid über seine Behauptung zuschieben, die Sache sei gelegentlich einer
Feuersbrunst bei ihm (dem Beklagten) verbrannt.
½ Verklage ich z. B. jemanden auf Rückzahlung eines ihm selbst ge-
gebenen, von ihm bestrittenen Darlehens, so kann ich in der Regel verlangen,
daß er den Wahrheitseid dahin leiste, es sei nicht wahr, daß er das
Darlehen erhalten habe. Ginge jedoch die Klagebehauptung dahin, das Dar-
lehen sei in Abwesenheit des Beklagten s. Zt. seinem jetzt verstorbenen Vater
607
608
600