Full text: Bürgerkunde.

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204 Das Zivilprozeßverfahren 
Auch ohne daß eine Partei der anderen über die streitigen Be— 
hauptungen den Eid zuschiebt, kann das Gericht, wenn ein anderer 
Beweis nicht voll erbracht worden ist, der einen oder anderen Partei 
einen Eid darüber auferlegen (sog. richterlicher Eid). 
Wird ein zugeschobener Eid verweigert, so gilt die Behauptung, 
über welche der Eid zugeschoben worden war, als voll bewiesen. 
Ebenso gilt natürlich, wenn jemand die Leistung des von ihm der 
Gegenpartei zugeschobenen, von dieser aber zurückgeschobenen Eides 
verweigert, seine Behauptung als widerlegt. Wird dagegen ein zu— 
geschobener oder zurückgeschobener Eid geleistet, so steht die beschwo— 
rene Tatsache endgültig fest, und es können nachträglich weder in der 
gleichen noch in einer höheren Instanz gegen sie andere Beweis— 
mittel vorgebracht werden. Deshalb wird auch zumeist der Eid einst— 
weilen der Partei noch nicht abgenommen, sondern es wird zunächst 
nur durch ein sog. bedingtes Endurteil ausgesprochen, daß 
die Partei den Eid zu leisten habe und was für Rechtsfolgen aus der 
Leistung oder der Verweigerung des Eides abgeleitet würden. 1 
Gegen dieses Urteil können die Parteien die zulässigen Rechts- 
mittel einlegen, um vielleicht in der höheren Instanz zunächst noch 
andere Beweise anzubieten oder auch darzutun, daß es auf den Eid 
überhaupt nicht ankomme. Erst wenn das bedingte Urteil rechts- 
kräftig geworden ist, findet der Eidestermin statt, und nach der Eides- 
leistung oder Eidesverweigerung werden die im bedingten 
Endurteile im voraus angekündigten Rechtsfolgen durch unbedingtes 
Urteil ausgesprochen. 
VI. Die Rechtsmittel und die Wiederaufnahme des 
Verfahrens. 
Gegen die Urteile der Amtsgerichte findet binnen eines Monats 
von der Zustellung ab die Berufung an das Landgericht statt, 
welches endgültig entscheidet. Ebenso kann gegen die von den 
Landgerichten in erster Instanz erlassenen Urteile die Berufung an 
gegeben worden, so hätte der Beklagte nur den Ue berzeugungseid 
zu leisten, des Inhalts, daß er die Ueberzeugung von der Unwahrheit der 
klägerischen Behauptung erlangt habe. 
½ Ein solches bedingtes Endurteil lautet z. B.: 
Der Beklagte hat folgenden Eid zu leisten: „Es ist nicht wahr, daß ich 
vom Kläger im Januar des Jahres 1906 ein Darlehen von 600 M. erhalten 
habe.“ Leistet der Beklagte diesen Eid, so wird der Kläger mit der Klage 
abgewiesen unter Verfällung in die Kosten des Rechtsstreits. Verweigert 
dagegen der Beklagte die Leistung des Eides, so wird er verurteilt, an den 
Kläger 600 M. zu zahlen und die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
	        
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