Das Kirchenwesen 273
gehen deshalb an sich von den zur Normgebung bestimmten Organen
der religiösen Vereinigungen aus; allein der Staat läßt ihnen nicht
volle Freiheit; er regelt kirchliche Verhältnisse teils selbst, teils setzt
er den Organen der Kirche Schranken und so hat das Kirchenrecht
teils kirchlichen, teils staatlichen Ursprung. Im Mittelalter brachte
die katholische Kirche den Standpunkt zur Anerkennung, daß kirchliche
Verhältnisse nur durch die Kirche geregelt werden dürfen; der
moderne Staat hat es verstanden, diesen Grundsatz zu erschüttern,
und läßt der Kirche nur innerhalb der von ihm durch die Staats-
gesetze gezogenen Grenzen die Freiheit. Bisweilen erfolgte die
Regelung kirchlicher Verhältnisse durch Verträge zwischen dem Staat
und der Kirche, die sogenannten Konkordate. So hat insbesondere
Bayern im Jahre 1817 ein Konkordat mit dem päpstlichen Stuhl ver-
einbart, durch das eine grundsätzliche Regelung der Verhältnisse der
katholischen Kirche im bayerischen Staat erfolgte und das neben dem
sogenannten Religionsedikt, einem Teil der Verfassungsurkunde, die
Grundlage für die Stellung der Kirche in Bayern bildet.
2. Durch die Verfassungsurkunde ist jedem Einwohner Bayerns
die Gewissensfreiheit gesichert, d. h. er darf in Gegenständen
des Glaubens und des Gewissens keinem Zwang unterworfen werden
und es darf niemand, gleichgültig zu welcher Religion er sich beken-
nen mag, die einfache Hausandacht untersagt werden. Es ist deshalb
auch einem jeden die Wahl seines Glaubensbekenntnisses freigestellt
und Beschränkungen, die die Satzungen der Religionsgesellschaften in
dieser Richtung aufstellen, haben in Bayern keine rechtliche Wirksam-
keit. Diese Selbstbestimmung steht aber nur solchen Personen zu, die
das 21. Lebensjahr zurückgelegt haben und im Besitze ihrer Geistes-
kräfte sind.
Der Austritt aus einer Glaubensgesellschaft und der
Übertritt von einer Kirche zu einer anderen können nur durch per-
sönliche Erklärung bei dem Pfarrer oder dem sonstigen geistlichen
Vorstand der Kirche, die verlassen werden soll, und dem der neuge-
wählten Kirche erfolgen. 2
½ Unter kanonischem Recht (sogenannt nach den canones —
Rechtssatzungen der Kirche) versteht man alles von kirchlichen Organen aus-
gehende Recht, gleichgültig, welche Gebiete es regelt, und so hat denn auch im
Mittelalter die katholische Kirche nicht bloß kirchliche Verhältnisse in den Be-
reich ihrer Gesetzgebung gezogen, sondern fast alle Gebiete des Rechtslebens
geregelt, so insbesondere auch strafrechtliche, zivilrechtliche und prozessuale
Vorschriften getroffen.
» » Hinsichtlich der religiösen Erziehung der Kinder
sind besondere Bestimmungen für die Kinder aus gemischten Ehen getroffen;
maßgebend ist für die Religion der Kinder in erster Linie die Bestimmung
Glock-Schiedermair, Bürgerkunde. 18
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