Full text: Bürgerkunde.

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314 Das Wirtschaftsleben 
Besonderes Interesse beansprucht heutigen Tages der sogenannte 
Sozialismus, welcher infolge der Ausbildung des großen 
Fabrik= und Maschinenbetriebs und des daraus entsprungenen feind- 
lichen Klassengegensatzes zwischen den Unternehmern (Kapitalisten) 
und den Arbeitern entstand. Er bekämpft unsere ganze jetzige Eigen- 
tums- und Erwerbsordnung und fordert eine neue Gesellschaftsord- 
nung, in welcher die Produktionsmittel (d. h. Grund und Boden und 
das Kapital) sich nicht im Privateigentum, sondern im Gemeineigen- 
tum des Staates befänden, und wobei die gesamte Produktion von 
letzterem planmäßig geleitet, einem jeden seine Arbeit zugeteilt und 
der Ertrag ebenso von Staats wegen verteilt würde. Allein diese 
Lehre verkennt, daß gerade das eigene Interesse am Erfolg, die Ge- 
wißheit, die Früchte der eigenen Anstrengung sicher zu genießen, den 
wirksamsten Sporn für die wirtschaftliche Tätigkeit der Menschen 
bildet und die stärkste Anspannung aller Kräfte, das rastlose Streben 
nach Verbesserungen erzeugt. Diese Triebfeder würde in einem sozia- 
listisch geleiteten Staatswesen fortfallen, und es ist nicht abzusehen, 
wodurch sie ersetzt werden sollte, da der Gemeinsinn bei den meisten 
Menschen leider weniger entwickelt ist. Abgesehen aber hiervon würde 
der in einem solchen Staate herrschende Zwang und die Willkür, welche 
bei einer behördlichen Verteilung der Arbeit und des Arbeitsertrages 
unvermeidlich hervortreten müßte, bald völlig unerträglich werden. 
Noch weiter als der Sozialismus geht der Kommunismus, 
welcher nicht nur eine Gemeinschaft der Produktionsmittel, sondern 
eine allgemeine Gütergemeinschaft, also auch eine solche der Ver- 
brauchsgüter, fordert. Der Anarchismus endlich verwirft über- 
haupt jede staatliche Ordnung. Die Verwirklichung seiner Ideale 
würde nicht zu dem von ihm erträumten harmonischen Zusammen- 
leben der Menschen, sondern zum Kampf aller gegen alle, zum Zustand 
der Raubtierwelt führen. 
Den richtigen Kern im wissenschaftlichen Sozialismus“ erken- 
nend, betonen die sog. Kathedersozialisten (lan ihrer Spitze 
Adolf Wagner und Gustav Schmoller), daß die scheinbare wirtschaft- 
liche Gleichheit und Freiheit aller für die wirtschaftlich Schwachen 
vielfach gerade die Ungleichheit und Unfreiheit bedeute, und daß daher 
der Staat verpflichtet sei, sich dieser in größerem Umfang als bisher 
anzunehmen. Sie halten zu diesem Zwecke ein stärkeres Eingreifen 
des Staats in unser Wirtschaftsleben (durch Uebernahme mancher 
Großbetriebe usw.) für geboten. 
Näicht völlig gleichbedeutend mit diesem wissenschaftlichen Sozialis- 
mus ist die Sozialdemokratie, d. h. die politische Partei, 
welche die sozialistischen Ideale mittels Einführung einer Volksherrschaft zu 
verwirklichen strebt.
	        
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