Der Reichstag 35
ordnung für die nächste Sitzung. Er erteilt den Rednern das
Wort in der Reihenfolge, in der sie sich darum gemeldet haben; doch
müssen die Mitglieder des Bundesrats auf Verlangen jederzeit
gehört werden. Er ruft Redner, welche die Redefreiheit
mißbrauchen, zur Ordnung und kann auch im Falle
gröblicher Verletzung der Ordnung ein Mitglied von der
Sitzung ausschließen. Wurde ein Mitglied zweimal in
derselben Rede zur Ordnung gerufen, so kann die Versamm-
lung ihm das Wort entziehen. Scheint eine Sache genügend
erörtert, so kann auf Antrag von 30 Mitgliedern der „Schluß der
Debatte“ beschlossen werden; alsdann erhalten nur noch der Be-
richterstatter und der Antragsteller das Wort. Ueber die Verhand-
lungen des Reichstags werden Protokolle aufgenommen, sowie
wörtliche stenographische Berichte gefertigt, welch letztere
mit allen Anlagen im Buchhandel erscheinen.
b. Dem Reichstage steht die für die Sicherung des Wahlrechts
besonders bedeutsame Befugnis zu, die Legitimation seiner
Mitglieder zu prüfen, d. h. sich zu überzeugen, ob
die Wahlen ordnungsgemäß und ohne unzulässige Beein-
flussung erfolgt sind. Zu diesem Zweck wird der Reichstag
alsbald nach der Eröffnung der Sitzungen durch das Los
in sieben gleichstarke Abteilungen zerlegt, deren jede eine
Anzahl Wahlprüfungen erledigt. Können sich die Abteilun-
gen über die Gültigkeit einzelner Wahlen nicht einigen oder ist eine
Wahl förmlich angefochten worden, so wird die weitere Prüfung
einer besonders gewählten Wahlkommission zugewiesen. Die
Inhaber der beanstandeten Mandate behalten übrigens im Reichstag
Sitz und Stimme, bis der versammelte Reichstag (das sog. Plenum
des Reichstags im Gegensatze zu den Kommissionen) über die Gültig-
keit der Wahl endgültig entschieden hat; denn diesem Plenum steht
jeweils die letzte Entscheidung zu.
c. Ueber alle Gesetzesentwürfe müssen, um Ueberstürzungen zu
vermeiden, drei Beratungen oder Lesungen stattfinden. Ist
ein Entwurf von größerem Umfang oder von besonderer Wichtigkeit,
so wird er nach der ersten Lesung, welche sich auf eine allgemeine
Erörterung der Vorlage beschränkt (sog. Generaldebatte),
einer Kommission zur Beratung überwiesen. Die Kommissionen
werden von den oben erwähnten 7 Abteilungen des Hauses ge-
wählt und zählen daher meist 7, 14, 21 oder 28 Mitglieder. Ihre
Sitzungen sind nur insoweit öffentlich, als auch die übrigen Reichs-
tagsmitglieder, sowie die Mitglieder und die Kommissäre des Bun-
desrats ihnen anwohnen können. Die Kommission wählt aus ihrer
Mitte einen Berichterstatter, der nach Beendigung der Kommissions-
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