Full text: Badisches Verfassungsrecht.

8 I. Geschichte der Verfassung. 
der zweiten Kammer vorgelegten Gesetzentwurf, betr die Zu— 
sammensetzung der beiden Kammern der Ständeversammlung, nach 
welchem die erste Kammer aus Wahlen der nach ihrem Steuer- 
kapital in drei Klassen abgeteilten Steuerpflichtigen hervorgehen 
sollte, einschneidende Aenderungen bezüglich des Wahlrechts zur 
zweiten Kammer vorgesehen; es sollten nämlich hier sowohl hin- 
sichtlich der Wahlart als hinsichtlich der Wahlberechtigung und der 
Wählbarkeit dieselben Bestimmungen in Anwendung kommen, die das 
von der deutschen konstituierenden Nationalversammlung in Frank- 
furt am 27. März 1849 beschlossene Reichsgesetz über die Wahlen der 
Abgcordneten zum Volkshause des Reichstages enthielt. Dieses Gesetz 
bestimmte in § 1: „Wähler ist jeder unbescholtene Deutsche, welcher 
das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat", sanktionierte somit das allge- 
meine Wahlrecht, für das sich in der entscheidenden Sitzung vom 
21. Februar 1849 237 gegen 224 Stimmen erhoben hatten. 
Bekanntlich trat das Reichsgesetz über die Wahlen zum Volkshause 
aber nicht in Wirksamkeit, und auch die Gesetzesvorlage vom 13. April 
1849 blieb infolge der Ereignisse des Jahres 1849 unerledigt. 
Im Jahre 1866 wurde sodann die Fragc einer Aenderung des 
aktiven Wahlrechts in der zweiten Kammer vom Abgcordneten von 
Feder aufgegriffen, der in einer Motion vom 6. März 1866 (Verhd 
II. K 65/66, 4. Beilagenheft S 208) den Antrag stellte, eine 
Gesetzesvorlage zu erbitten, wonach alle volljährigen Staatsbürger, 
welche eine direkte Staatsabgabe entrichten, als wahlberechtigt erklärt 
werden. In der zweiten Kammer wurde auch am 20. Oktober 1866 
mit 39 von 41 Stimmen eine Adresse an den Großherzog beschlossen, 
in welcher um eine Aenderung der Verfassung dahin gebeten wird, 
daß der Besitz des Gemcindebürgerrechts künftig als Erfordernis der 
Wahlberechtigung und Wählbarteit wegfalle, und es dafür an dem 
dauernden Aufenthalt am Wahlort genüge, daß mithin das allgemeine 
Wahlrecht ohne Beschränkung cingeführt werde. Aber weder das oben 
schon erwähnte Gesetz vom 21. Oktober 1867 noch das Gesetz vom 
20. Februar 1868, betr. die Abänderung des § 67 der Verfassungs- 
urkunde bezüglich der Verantwortlichkeit der Minister (Regl 
S 345), enthielt eine Aenderung der auf das Wahlrecht bezüglichen 
Vorschriften der Verfassung. Das letztere beschränkte sich vielmehr 
auf die Aenderung des § 67 der Verfassung und die Einfügung des 
Abschnittes IVa: Von den Anklagen gegen die Minister. 
Erst das Gesetz vom 21. Dezember 1869, betreffend die Aende- 
rung einiger Bestimmungen der Verfassungsurkunde (G u Vhl 
571), trug dem Beschluß der zweiten Kammer vom 20. Cktober 
1566 Rechnung, indem es alle Staatsbürger, — ausgenommen die,
	        
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