18 I. Geschichte der Verfassung.
revision zu gelangen. Eine solche Darlegung ihrer Auffassung erschien
der Regierung um so unentbehrlicher, als die seit Jahrzehnten er-
strebte Reform der ersten Kammer, die mit dem Uebergang zum
direkten Wahlsystem nach ihrer Auffassung verbunden werden müßte,
in neuerer Zeit in der zweiten Kammer zu eingehenderer Besprechung
überhaupt nicht mehr gelangt war.
Auf dem Landtag 1891/92 war zwar anläßlich der Beratung
der Anträge wegen Einführung des direkten Wahlrechts bei den
Wahlen zur zweiten Kammer eine Reform der ersten Kammer in
der zweiten Kammer wieder zur Erörterung gebracht worden. Der
vom Abgeordneten Fieser erstattete Bericht der Mehrheit der Kom-
mission der zweiten Kammer verlangte als Gegengewicht gegen die
erstrebte veränderte Zusammensetzung der zweiten Kammer im In-
teresse der Erhaltung der Grundlagen unserer Verfassung eine das
Gleichgewicht der drei Faktoren der Gesetzgebung sichernde Reform
der ersten Kammer, bei der insbesondere der Großgrundbesitz, die
Großindustrie, das Großkapital und die größeren Städte Berücksichti-
gung zu beanspruchen hätten. Die erste Kammer trat zwar, wie
oben erwähnt, dem Beschluß der zweiten Kammer wegen Einführung
des direkten Wahlsystems nicht bei, billigte aber am 13. Juni 1892
cinstimmig die von ihrer Kommission vorgeschlagene Resolution, in
welcher die Regierung ersucht wurde, unabhängig von der Frage einer
Acenderung des Wahlsystems zur zweiten Kammer eine Reform der
ersten Kammer im Sinne einer Verstärkung derselben in Erwägung
ziehen zu wollen.
Eine solche Reform in kleinerem Umfang, beschränkt auf die
Einführung eines Stellvertretungsrechts für die geistlichen Mitglieder
der ersten Kammer, denen das Recht beigelegt werden sollte, durch
einen Geistlichen ihrer Konfession sich vertreten zu lassen, und einer
Vertretung der Technischen Hochschule in dieser Kammer bezweckte
der oben angeführte, auf dem Landtag 1895/96 eingebrachte, in der
Folge wieder zurückgezogene Antrag des Abgcordneten Wacker auf
Einführung der direkten Wahlen für die zweite Kammer.
Ein Anlaß zur abermaligen Erörterung der Frage einer Re-
organisation der ersten Kammer ergab sich für die erste Kammer
wieder auf dem Landtag 1897/99 gelegentlich der Beratung des
Gesetzes vom 24. Juni 1898 über die Wahlzceit für die Urwahlen zur
zweiten Kammer, und cs fand am 7. Mai 1898 die von der Kom-
mission der ersten Kammer vorgeschlagenc Resolution, in welcher cine
Reform der ersten Kammer hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und
staatsrechtlichen Stellung für geboten erklärt wurde, einstimmige An-
nahme. Hinsichtlich der Gesichtspunkte, von welchen einc solche Reform