„DER JUNGE SIEHT EHRGEIZIG AUS“ 1
führte, dessen Haus sechshundert Jahre die deutsche Kaiserkrone getragen
hatte.
Diejenigen, welche dem Gesandten von Bismarck nähertraten, fanden,
daß er Geist und Temperament besitze. Regeren Verkehr aber unterhielt
der preußische Gesandte nur mit dem oldenburgischen Gesandten, Herrn
von Eisendecher, und mit meinem Vater. Dieser vertrat als dänischer
Gesandter beim Bundestag die Herzogtümer Holstein und Lauenburg. Er
war fast gleichzeitig mit Herrn von Bismarck 1851 beim Bundestag akkre-
ditiert worden. Seine Beziehungen zu Bismarck wurden bald herzlich und
freundschaftlich und blieben es bis zu dem fast drei Jahrzehnte später er-
folgten Tode meines Vaters. Ich mag sieben oder acht Jahre alt gewesen
sein, als ich Bismarck zum erstenmal mit Bewußtsein vor mir sah. Mein
Vater und ich begegneten ihm auf der Bockenheimer Landstraße. Mein
Vater hielt mich an der Hand. Bismarck frug: „Ist das Ihr Ältester?“ Mein
Vater bejahte und frug seinerseits den preußischen Kollegen, wie er mich
fände. Lächelnd meinte dieser: „Der Junge sieht ehrgeizig aus.‘“ Mein Vater
antwortete: „Das tut mir leid. Ich halte es mit den Herrnhutern, die singen:
Vor unseligem Großwerden behüte uns, lieber Herre Gott.‘“ Bismarck sarnn
einen Augenblick nach, dann meinte er: „Die guten Herrnhuter haben recht.
Was hülfe es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme
dabei Schaden an seiner Seele.““
Zwischen meiner Mutter und Frau von Bismarck bestand über vierzig
Jahre, bis zu ihrem im gleichen Jahr 1894 erfolgten Tode, herzliche, nie
und durch nichts getrübte Freundschaft. Sie glichen sich in gleich treuer
Erfüllung ihrer häuslichen Pflichten, in ihrer unbegrenzten Liebe zu Mann
und Kindern. Sie waren beide von heiterer Gemütsart, natürlich und unbe-
fangen. Vor allem verband sie tiefe und aufrichtige evangelische Frömmig-
keit. Frau von Bismarck entstammte dem Kreise der „Erweckten‘“ ihrer
pommerschen Heimat. Meine Mutter kam aus dem pietistisch gerichteten
Hause ihrer Eltern Rücker und ihrer Großeltern Jenisch in Hamburg und
war im Geiste strenger Gläubigkeit, aber auch unermüdlicher, Fürsorge für
Arme und Kranke, im Geiste von Johann Hinrich Wichern, dem Gründer
des Rauhen Hauses, und der unvergeßlichen Amalie Sieveking erzogen
worden. Ich besitze noch ein Christusbild, das mir Frau von Bismarck 1857
schenkte, als ich acht Jahre alt war. Es stellt den Erlöser am Kreuze dar,
mit der Dornenkrone auf dem Haupt, darunter die Verse:
O Lamm Gottes, unschuldig
Am Stamm des Kreuzes geschlachtet,
Allzeit erfunden geduldig,
Wiewohl du warest verachtet.
Bülows Eltern