Verfassungsurkunde. § 92. 165
1. Ueber die Rechtspflege fügen die §§ 92—98 dem 8 26
weitere grundlegende Bestimmungen bei. Auch diese sind durch die
Reichsgesetzgebung wesentlich verändert worden. Gemäß Art. 4 Ziff 13
der Reichsverfassung in der Fassung des Reichsges. vom 20. Dez. 1873
unterliegt das gesamte bürgerliche Recht, das Strafrecht und das ge-
richtliche Verfahren der Beaufsichtigung und Gesetzgebung des Reichs.
Das Gerichtswesen ist hiernach in der Hauptsache reichsgesetzlich ge-
regelt, insbesondere durch das Gerichtsverfassungsgesetz, die Civil-
prozeßordnung, die Strafprozeßordnung, die Militärstrafgerichts-
ordnung, die Konkursordnung, das Gesetz über die Konsularge-
richtsbarkeit und das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwil-
ligen Gerichtsbarkeit; die Landesgesetzgebung ist darauf beschränkt,
die erforderlichen Ausführungsbestimmungen zu geben und einzelne
Licken zu ergänzen 1). Ein Unterschied besteht jedoch zwischen der
ordentlichen streitigen und der sonstigen Gerichts-
barkeit. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit wird nach Maß-
gabe der im wesentlichen erschöpfenden reichsgesetzlichen Vorschriften
von den Einzelstaaten unter der Aufsicht des Reichs, die vom
Reichskanzler durch das Reichsjustizamt gegenüber dem württemb.
Justizministerium geübt wird, gehandhabt; für die ganze übrige
Gerichtsbarkeit kommt der Landesgesetzgebung und Landesjustizver-
waltung innerhalb der Schranken der Reichsgesetzgebung, wie sie
namentlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit gezogen sind, freie Be-
wegung zu. Zu dieser zweiten Gruppe gehört insbesondere die
Gerichts barkeit der Verwaltungsgerichte, des Kom-
petenzgerichtshofs, der Disziplinarstrafgerichts-
höfe und des Staatsgerichtshofs?).
2. Der § 92 ist durch die Reichsgesetzgebung in drei Richtungen
geändert:
a) Der Oberaufsicht des Königs ist die konkurrierende Aufsicht
der obersten Reichsorgane an die Seite gestellt;
. —
1) AusfGes. zum Ger Verf Ges. v. 24. Jan. 1879, zur C PO. v.
18. Aug. 1879, zur Konk O. v. 10. Febr. 1877, zum BGB. v. 28. Juli
1899 (Art. 1—131, 271—281).
) Vgl. Laband, Reichsstaatsrecht Bd. 3 S. 335 ff.; Gaupp-
Göz' S. 278.