176 Verfassungsurkunde. 8 97.
2. Die Vorschrift in § 97 Abs. 1, daß in schweren Fällen die
Akten vor der Eröffnung des Erkenntnisses dem
Könige vorzulegen sind, ist schon durch die frühere württ. Landes-
gesetzgebung (St PO. von 1843 Art. 432, Gesetz vom 14. Aug. 1849
Art. 190, Gesetz vom 17. Juni 1853 Art. 5, StPO. v. 1868 Art. 345)
beseitigt worden. Die Ausübung des Begnadigungsrechts ist nun-
mehr geregelt durch die RSt PO. § 485, das Ausf.Ges. dazu Art. 8
und 9 und die K. Verordnung vom 25. Septbr. 1879. In schweren
Straffällen, d. h. wenn auf Todesstrafe oder mindestens zehnjährige
nicht bloß durch das Zusammentreffen begründete Zuchthausstrafe
erkannt wird, ist das Urteil von Amtswegen mit einer Aeußerung
des erkennenden Gerichts dem Justizministerium wegen der etwaigen
Begnadigung vorzulegen; in anderen Fällen kann das Gericht von
Amtswegen eine Begnadigung befürworten und zu diesem Zweck
die Akten einsenden. Im übrigen ist die Betretung des Gnaden=
wegs dem Bestraften und dessen nächsten Angehörigen (K. VO. v.
25. Sept. 1879 § 1) anheimgegeben. Begnadigungsgesuche hemmen
in der Regel den Vollzug der erkannten Strafe (Ausf.Ges. Art. 9).
3. Gesuche um Gewährung von Strafaufschub im
Gnadenwege keönnen, kraft besonderen stets widerruflichen
Auftrags des Königs, bis zur Dauer von zehn Tagen von den Amts-
richtern oder den die Strafe aussprechenden Vorständen der Straf-
anstalten, bis zur Dauer von sechs Wochen von der Staatsanwalt-
schaft des Landgerichts bei gerichtlich erkannten Strafen, von den Kolle-
gialvorständen oder dem ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei
den in ihrem Geschäftskreise erkannten Ordnungs= und Disziplinar-
strafen erledigt werden (KVO. v. 25. Sept. 1879 § 9).
4. Die sog. bedingte Begnadigung, d. h. die Erteilung
von Strafaufschub mit der Aussicht auf Begnadigung nach Ablauf
einer Probezeit oder Bewährungsfrist, hat neuerdings größere
praktische Bedeutung gewonnen; um eine gleichmäßige Handhabung
dieser Einrichtung herbeizuführen, haben die Bundesstaaten Grundsätze
vereinbart, wonach sie vorzugsweise zu Gunsten solcher Verurteilten
angewendet wird, die zur Zeit der Tat das 18. Lebensjahr nicht voll-
endet haben, und über die Bewilligung eine Aeußerung des erkennenden
Gerichts zu veranlassen ist (Vgl. Just Min Verf. v. 26. Febr. 1896