Full text: Die Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg.

210 Verfassungsurkunde. § 110. 
zeitlich vorangehen sollen, nicht erfüllt sind, ist die Steuerverwilligung 
von der Verfassung verboten; eine Uebertretung dieses Verbots 
schließt jedenfalls eine Abweichung von den Geboten der Verfas- 
sung, eine Aenderung der Verfassung für den einzelnen Fall in sich 
und erfordert eine Zweidrittelsmehrheit in den zwei Kammern. 
Doch sind in diesem Punkte die Bestimmungen der Verfassungs- 
urkunde nicht immer streng eingehalten worden. Im Einverständ- 
nis mit der Regierung hat sich in der zweiten Kammer die Uebung 
eingeschlichen, ohne Rücksicht auf vorhandene Restmittel zunächst 
für Deckung des ordentlichen Staatsbedarfs die Steuern zu ver- 
willigen und dann erst für außerordentliche Staatsbedürfnisse über 
die Restmittel zu verfügen, ohne daß dabei die Erfordernisse einer 
Verfassungsänderung eingehalten werden 7. 
2. Der Nachweis des laufenden Staatsbedarfs 
wird gemäß § 111 durch Vorlegung des Hauptetats geführt. Wenn 
dabei der § 110 zwischen notwendigen und nützlichen Aus- 
gaben unterscheidet und der § 124 die Landstände zur Verwilli- 
gung der als notwendig erkannten Steuern verpflichtet, so sind 
unter notwendigen Ausgaben jedenfalls solche zu verstehen, zu deren 
Leistung eine gesetzliche Verpflichtung vorliegt, sei es nun, daß es 
sich um eine unter dem Schutz der Gerichte stehende privatrechtliche 
oder öffentlichrechtliche Verbindlichkeit handelt, oder eine sonstige 
durch die ordentliche Gesetzgebung geschaffene Einrichtung bestimmte 
Ausgaben erfordert. Dem Steuerverweigerungsrecht der Stände ist 
durch die ordentliche Gesetzgebung eine Schranke gezogen, diese 
ordentlichen Gesetze dürfen durch das Finanzgesetz nicht aufgehoben 
und in ihrer Wirksamkeit gehemmt werden, sie sind für jedermann, 
auch für die Stände, insolange maßgebend, als sie nicht im Weg 
der ordentlichen Gesetzgebung geändert werden. Außer solchen 
Ausgaben, für die eine rechtliche Notwendigkeit vorliegt, 
gibt es auch Ausgaben, von deren Leistung der Fortbestand und 
die Integrität des Staatswesens abhängig sein kann, oder die 
durch das öffentliche Wohl dringend gefordert werden; sie lassen 
  
1) Auf die Verfassungs widrigkeit dieser Praxis ist in der Sitzung 
der Kammer der Abgeordneten vom 20. Mai 1887 (Prot. Bd. S. 891) 
in ausführlicher Begründung hingewiesen worden.
	        
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