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verharren. In dem jetzt vorliegenden Fall wird dies der Bundesrat um so
eher dürfen, als das auf Grund seiner jetzigen Geschäftsordnung immer aus-
gedehntere Substitutionswesen, das heißt die Uebertragung der Stimmbefugnis
von einem Bundesstaat auf den andern, wenn auch nach der Instruktion des
Uebertragenden, mit der Reichsverfassung schwerlich zu vereinbaren ist. Die
Reichsverfassung, indem sie den Bundesrat einrichtete, hat damit die andere
Einrichtung, welche ja möglich gewesen wäre, ausschließen wollen, daß man für
jede legislative Entscheidung bei den Bundesregierungen lediglich Umfrage hält.
Die Einrichtung des Bundesrats bezweckt, durch die Vereinigung persönlicher
Vertreter der Regierungen die letzteren unter den Einfluß der Gesamtheit zu
stellen, unter welchen jeder einzelne Vertreter durch die Beratung mit seinen
Kollegen gestellt wird. Es wird vorausgesetzt, daß der Vertreter gegenüber
seiner Regierung den Einfluß, den er seinerseits erfahren, ebenso geltend zu
machen weiß, wie er seinerseits den Standpunkt der von ihm vertretenen Re—
gierung bei den Kollegen und durch diese bei den verbündeten Regierungen
geltend gemacht hat.
Es bedarf nicht der Ausführung, daß dieser Zweck des Bundesrats ebenso
unentbehrlich für die Reichsverfassung ist, als er durch das Substitutionswesen
vereitelt wird. An die Beschränkung des letzteren wird also Hand gelegt
werden müssen.“
Nach einer aus der Umgebung des Fürsten Bismarck stammenden Version
fand der Reichskanzler in den Verpflichtungen, die sein Amt ihm dem Bundes-
rat gegenüber auferlegte, und in den Rücksichten, die er dem letzteren schuldig
war, eine Nötigung zu dem von ihm gethanen Schritt. „Wenn er sich aus
verschiedenen, teils sachlichen, teils allgemein politischen Gründen in der Lage
geglaubt hat, die Uebermittlung eines Mehrheitsbeschlusses des Bundesrats an
den Reichstag im Namen des Kaisers mit der ihm obliegenden Verantwortlich-
keit nicht vereinbaren zu können, so wird er es mit seiner Stellung zu den
verbündeten Regierungen vielleicht nicht verträglich gehalten haben, die ihm vom
Bundesrat gestellte Aufgabe unter Berufung auf seine Verantworlichkeit einfach
abzulehnen. Ihm kann es schon aus Anstandsrücksichten geboten erschienen sein,
vor Erklärung seiner Weigerung sich amtlich zu vergewissern, ob Seine Mcjestät
der Kaiser nicht etwa geneigt sei, dem Bundesrat einen andern, zur Ueber-
nahme der Verantwortlichkeit für die Beschlüsse desselben bereiten Kanzler zur
Verfügung zu stellen, oder ob die Kaiserliche Autorität ihm bei der Ab-
lehnung des ihm angesonnenen Dienstes in vollem Maße zur Seite stehe,
damit es nicht den Anschein gewinne, als ob er für seine Person sich
einem zwar mit geringer Majorität, aber doch immerhin rite gefaßten Bundes-
ratsbeschlusse widersetzen wolle. Das Transmissoriale eines solchen an den
Reichstag zu unterschreiben ist ein Akt, von welchem die Uebernahme der Ver-
antwortlichkeit für das Unterschriebene sich nicht wohl trennen läßt. Kann aber