46 VBeutsches Reich. (Januar 26.)
Am Tage der formellen und kategorischen Ablehnung der Neutralität
unter irgendwelchen Bedingungen (1. August) machte Sir Edward Grey an
Paul Cambon folgende Eröffnung (Gelbbuch Nr. 126):
Er werde das Kabinett mit der ungenügenden Antwort Deutschlands
in Sachen der Neutralität Belgiens befassen und die Ermächtigung ver-
langen, am Montag (3. August) im Unterhaus zu sagen, die britische Re-
gierung werde eine Verletzung der belgischen Neutralität nicht dulden.
Außerdem seien die britischen Geschwader mobilisiert, und er wolle seinen
Kollegen eine Erklärung vorschlagen, dahingehend, daß die britische Flotte
die Durchfahrt der deutschen Flotte durch den Kanal oder — wenn diese
Durchfahrt gleichwohl gelingen sollte — jede Demonstration an der fran-
zösischen Küste verhindern werde.
Es ist nicht anzunehmen, daß es in England üblich ist, daß der Staats-
sekretär des Aeußern Anträge von weltgeschichtlicher Tragweite, die er im
Kabinettsrat zu stellen gedenkt, vorher dem Vertreter einer interessierten
auswärtigen Macht mitteilt und auf diese Weise die Politik seines Landes
engagiert, ehe das Kabinett gesprochen hat. Ein solches Verhalten ist um
so auffallender, wenn es sich um Beschlüsse handelt, gegen deren Tendenz
im Schoße des Kabinetts bisher ein erfolgreicher Widerstand sich geltend
gemacht hat. Wenn gleichwohl Sir Edward Grey am Vormittag des
1. August die oben mitgeteilten, dem Kabinett vorgreifenden Eröffnungen.
machte, so hat er für sich allerdings die Entschuldigung, daß er damit
Frankreich gegenüber keine stärkere Verpflichtung übernahm, als er sie schon
vorher übernommen hatte.
Immerhin ist bezeichnend, daß das englische Blaubuch keine Mitteilung
Sir Edward Greys über diese Unterhaltung mit Paul Cambon an den
britischen Botschafter in Paris enthält, während Paul Cambon nicht ver-
fehlte, an seine Regierung alsbald zu berichten.
In Paris war man auf Grund der im englischen Kabinett zu Tage
getretenen Widerstände so ängstlich geworden, daß der dortige englische
Botschafter am Abend des 31. Juli nach London telegraphierte, der fran-
zösische Minister des Auswärtigen sei „urgently anxious as to what the
attitude of England will be in the circumstances. and begs an answer
may be made by Hlis Majesty's Government at the earliest moment
possible (der französische Minister des Auswärtigen sei dringend ängstlich,
was die Haltung von England bei dieser Sachlage sein werde, und bittet,
daß die britische Regierung eine Antwort so rasch wie möglich geben möge).
(Blaubuch Nr. 124.)
Die Antwort war die ungewöhnliche Eröffnung Sir Edward Greys
an Paul Cambon am Morgen des 1. August.
Jetzt war Frankreich beruhigt, und ohne die deutsche Mobilmachung
abzuwarten, verfügte die französische Regierung am 1. August, 3½ Uhr
nachmittags, die allgemeine Mobilmachung der französischen Armee. (Blau-
buch Nr. 136.)
Am folgenden Tage, Sonntag den 2. August, machte Sir Edward
Grey dem französischen Botschafter eine Eröffnung, die er am 3. August in
folgender, etwas präziserer Form wiederholte:
„Dans le cas ou l’escadre allemande franchirait le dé-
troit ou remonterait la Mer du Nord pour doubler les iles
britanniques dans le but d’attaquer les Ccötes françaises ou
la marine de guerre française et d'’inquicter la marine mar-
chande francaise, l’escadre anglaise interviendrait pour
preter à lamarine française son enticère protection, en sorte
qdue des ce moment I'Angleterre et I'Allemagne seraient en