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(Nr. 8558.) Gesetz, betreffend die Unterbringung verwahrloster Kinder. Vom 13. März 1878.
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen u.§
verordnen mit Zustimmung beider Häuser des Landtages, für den Umfang der
Monarchie, was folgt:
KG. 1.
Wer nach Vollendung des sechsten und vor Vollendung des zwölften
Lebensjahres eine strafbare HGe#lung begeht, kann von Obrigkeitswegen in eine
geeignete Familie oder in eine Erziehungs= oder Besserungs-Anstalt untergebracht
werden, wenn die Unterbringung mit Rücksicht auf die Beschaffenheit der straf.
baren Handlung, auf die Persönlichkeit der Eltern oder sonstigen Erzieher des
Kindes und au dessen übrige Lebensverhältnisse zur Verhütung weiterer sittlicher
Verwahrlosung erforderlich ist.
g. 2.
Die Unterbringung zur Zwangserziehung erfolgt, nachdem das Vormund-
schaftsgericht durch Beschluß den Eintritt der Voraussetzungen des ;9 1 unter
Bezeichnung der für erwiesen erachteten Thatsachen festgestellt und die Unter-
bringung für erforderlich erklärt hat.
S. 3.
Das Vormundschaftsgericht beschließt von Amtswegen oder auf Antrag.
Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, dem Vommundschafss erichte von den im
C. 1 bezeichneten strafbaren Handlungen, welche zu ihrer Kenntniß gekommen
sind, Mittheilung zu machen.
Das Vormundschaftsgericht soll vor der Beschlußfassung die Eltern oder,
sofern diese nicht leben, die Großeltern, den Vormund, den ste er, den Ge-
meindevorstand hören, falls deren Anhörung ohne erhebliche bieiteten
erfolgen kann, sowie in allen Fällen die Ortspolizeibehörde oder einen anderen,
durch den Minister des Innern bestimmenden Vertreter der Staatsregierung.
Das Vormundschaftsgericht kann Zeugen eidlich vernehmen.
Der Beschluß des Vormundschaftsgerichts ist in einer Schlußverhandlun
zu verkünden. Von dem zur Schlußverhandlung anberaumten Termine fin
außer den im zweiten Absatze dieses Paragraphen genannten Personen und Be-
hörden der Schulvorstand und der Waisenrath zu benachrichtigen. Dieselben sind
berechtigt, über den Gegenstand der Verhandlung ihre Erklärung in diesem
Termine oder vorher schriftlich abzugeben.
K. 4.
Gegen den Beschluß des Vormundschaftsgerichts steht den im §. 3 Ab-
sat 2 und 4 genannten Personen und Behörden das Recht der Beschwerde zu,
den Eltern beziehungsweise Großeltern jedoch nur dann, wenn der Beschluß auf
Unterbringung lautet.