Die Thronrede. 619
sozialer Groll, der schlesische Erbschulze Krause meinte einmal, er und
seine Standesgenossen hätten dreißig Jahre lang geschlafen, jetzt aber
wären sie endlich zum Bewußtsein ihrer Rechte erwacht. Unvertreten
war auch, nach dem Wahlgesetze, die breite Masse der städtischen Arbeiter,
unvertreten endlich der mächtige Stand der eigentlichen Schriftgelehrten.
Wenn die Krone mit einem Landtage, der ausschließlich die seßhaften,
vermögenden, konservativen Elemente der Gesellschaft vertrat, sich nicht zu
verständigen vermochte, dann war eine friedliche Entwicklung des politi-
schen Lebens kaum noch zu erwarten. —
Mit königlichem Pomp, die Reichs-Insignien voran, betrat Friedrich
Wilhelm am 11. April den prachtvoll wiederhergestellten Weißen Saal
des Schlosses, um den Landtag mit feierlicher Ansprache zu eröffnen. Alle
königlichen Prinzen scharten sich um ihn; selbst der getreue Gesinnungs-
genosse des russischen Schwagers, Prinz Karl, der, grollend über die
„chambre monstre“, lange in Italien verweilt hatte, war im letzten
Augenblicke auf Befehl des Monarchen noch herbeigeeilt.) Zum letzten
Male — wie wenig konnte er das ahnen — redete der König hier mit
der vollen Freiheit des unbeschränkten Herrschers zu seinem Volke, aus
der Tiefe des Herzens heraus, aufrichtig, wie kaum je ein gekröntes Haupt
gesprochen hat; es war, als wollte er sich selber an dem Schwung und
dem Glanze seines reichen und doch so ganz unpolitischen Geistes weiden.
Er erklärte, wie es die Kundigen nicht anders erwarten konnten, das Ver-
fassungswerk seines Vaters nunmehr für vollendet und warnte die Stände,
dies Werk „nicht gleich durch ungenügsame Neuerungslust in Frage zu
stellen“; er legte ihnen, wie einst schon den Vereinigten Ausschüssen, ans
Herz, daß sie nicht „Meinungen zu repräsentieren“, sondern nach altem
deutschen Brauche ihre eigenen Rechte zu wahren hätten. Er erinnerte sie
an die „Erbweisheit ohnegleichen“, welche die englische Verfassung, ohne
ein Stück Papier geschaffen habe, und obgleich er soeben selbst das beschriebene
Blatt des Patents hatte hinausgehen lassen, gab er das feierliche Ge-
löbnis: „daß es keiner Macht der Erde je gelingen soll, mich zu bewegen,
das natürliche, gerade bei uns durch seine innere Wahrheit so mächtig
machende Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein konventionelles, kon-
stitutionelles zu wandeln, und daß ich es nie und nimmermehr zugeben
werde, daß sich zwischen unseren Herrgott im Himmel und dieses Land
ein beschriebenes Blatt gleichsam als eine zweite Vorsehung eindränge,
um uns mit seinen Paragraphen zu regieren und durch sie die alte Treue
zu ersetzen.“ Sichtlich erregt sprach er von den Angriffen der Presse,
die doch so tief unter ihm stand: „von allen Unwürdigkeiten, denen ich
und mein Regiment seit sieben Jahren ausgesetzt gewesen, appellier' ich an
mein Volk.“ Und indem er seine getreuen Stände aufforderte zum ge-
*) Knyphausens Bericht, 11. April 1847.