fullscreen: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

156 Primogeniturordnung. 
Fürstenhäusern das Bestreben allgemein, die Individualsuccession, welche man mit 
bewußter Absicht aufgegeben, wiederum einzuführen. Besonders maßgebend wurde 
in dieser Beziehung die goldene Bulle, welche für die weltlichen Kurwürden im 
Interesse einer definitiven Regelung der Königswahlen die Untheilbarkeit und Primo- 
genitur festsetzte. Indem man dieses Beispiel nachahmte, wurde in allen welt- 
lichen Fürstenthümern hier früher dort später zum Theil unter hartnäckigen Kämpfen 
die Untheilbarkeit und das Recht der Erstgeburt eingeführt (zuletzt in Meiningen 
1802). Demnach ist heutzutage in allen monarchisch organisirten Staaten Deutsch- 
lands die Thronfolge durch die P. geregelt. Diese hat die Untheilbarkeit der Succession 
zur Voraussetzung, wie sie ohnehin durch den modernen Staatsbegriff erfordert wird. 
Die Primogeniturfolge ist Linealprimogeniturfolge. Der Vorrang des Erstgeborenen 
vor den Nachgeborenen ist zu einem Vorrang der Linie des Erstgeborenen vor den 
jüngeren Linien in konsequenter Weise ausgedehnt. 
2) Die P. als privatrechtliches Institut. Das ältere Deutsche Privat- 
recht weiß nichts von einer Untheilbarkeit des vererblichen Grundbesitzes, die ja die 
Unterlage der Primogeniturfolge bildet. Waren mehrere gleich nahe Verwandte vor- 
handen, so wurde das Erbe getheilt. Nur bezüglich des Handgemals (Th. I. S. 215) 
hatte der Aelteste von der Schwertseite einen Vorzug. Dagegen zeigt das Deutsche 
Lehnrecht im weiteren Verlaufe seiner Entwickelung eine entschiedene Hinneigung zur 
Primogeniturfolge. Der Lehnsherr war nur verpflichtet, Einen von mehreren Lehns- 
erben zu belehnen und zwar jenen, den diese unter sich auswählten. Mit Rücksicht 
auf die Lehnsvormundschaft, welche dem Lehnsherrn während der Minderjährigkeit 
des Vasallen das Recht auf den Bezug der Lehnsfrüchte gewährte, wurde unter 
mehreren Descendenten des letzten Lehnsmannes gewöhnlich der Erstgeborene für das 
Lehn bestimmt. Das Langobardische Lehnrecht, das mit dem Röm. und Kanon. 
Recht in Deutschland rezipirt ward, läßt die Auftheilung des Lehns unter gleich 
nahen Lehnserben zu. Ebenso war dem Röm. Recht das Prinzip der Individual- 
succession unbekannt. Im Gegensatze nun zu den Bestimmungen des Gem. Rechts 
hat in den Kreisen des Adels in Folge von Hausgesetzen oder im Wege der Obser- 
vanz oder durch Errichtung von Familienfideikommissen die Individualsuccession 
Eingang gefunden. Sie gestaltet sich als P. oder in anderen Formen (Majorat, 
Sekundogenitur rc.), von denen unter den bezüglichen Schlagworten gehandelt wird. 
Nach der P. succedirt dem Erblasser in erster Linie stets sein erstgeborener 
Sohn. Ist dieser vorverstorben, so folgt der erstgeborene Enkel von diesem Sohne 
her, eventuell der erstgeborene Urenkel von diesem Enkel her. Ist kein Descendent 
des vorverstorbenen erstgeborenen Sohnes vorhanden, so erbt der zweitgeborene Sohn 
des Erblassers, resp. dessen Descendent nach Erstgeburtsrecht. Eventuell kommt der 
drittgeborene Sohn und dessen Linie zur Erbschaft. Gebricht es an Descendenten 
des Erblassers, so kommt die zweite Parentel (die des Vaters) als erbberechtigt in 
Betracht rc., und zwar erbt innerhalb der einzelnen Parentel immer der Erstgeborene 
der älteren Linie. Halbbrüder von väterlicher Seite stehen stets den vollbürtigen 
gleich, während Halbbrüder von mütterlicher Seite gar nicht berücksichtigt werden 
(Preuß. Allg. LR. II. 4 88 162, 163). 
Nur ausnahmsweise findet sich die Erstgeburtsfolge bei Bauerngütern, so in 
Lippe und Waldeck, während sonst bei Bauerngütern, wenn Individualsuccession 
stattfindet, gewöhnlich Minorat eintritt. 
Lit. u. Gsgb.: Hermann Schulze, Das Recht der Erstgeburt in den Deutschen 
sierhinen 88 seine Bedeutung für die Deutsche Staatsentwickelung, 1851. — Pfeiffer, 
rdnung der Regierungsnachfolge in den monarchischen Staaten des teutschen Bundes, 1826. — 
Pütter, Erörterungen und Beispiele des teutschen Staats= und Fürstenrechts, 307 ff. — 
B. Meyer, Kolonatsrecht, 1. § 45. — Weigel, Einleitung in das Waldeck' del Landesrecht, 
57. — Herm. Schulze, Art. 1Thron fol. in Bluntschlin. Brater's Staats Wört. B. — 
Preuß. Allg. LR. II. 4 88 147 ff. — Oesterr. BG B. 88 619 —625. — Bayer. Verf. Urk. von 
1818, Beil. IWll. §§# 86—91. Heinrich Brunner.
	        
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