Kushland. (März 14—16.) 505
der am 24. April 1865 zu Nizza erfolgte Tod seines älteren Bruders, des
Großfürsten Nikolaus, aber ließ ihn von demselben die Thronfolge wie die
Henn von dessen vormaliger Braut erben. Jener Ehe sind vier Kinder, die
roßfürsten Nikolaus, Georg und Michael und die Großfürstin TKenia ent-
sprofsen der erstgenannte Großfürst jetzt Thronfolger ist am 18. Mai 1868
gebo
14. März. Der neue Kaiser überträgt das höchste Militär-
Commando des Reichs seinem nächstältesten Bruder, dem mit einer
(ungewöhnlich begabten) Tochter des Großherzogs von Mecklenburg-
Schwerin vermählken Großfürsten Wladimir und die provisorische
Leitung der Staatsgeschäfte dem Grafen Loris Melikoff.
Die erste Ernennung ist offenbar ein Schlag gegen den nächstjüngsten
Oheim des neuen Zaren, den Großfürsten Nilolaus gemeint, der seit dem
bulgarischen Feldzuge mit dem jepigen wie dem verstorbenen Zaren verfeindet
war und in jenem Feldzuge nicht blos Unfähigkeit. sondern auch noch
Schlimmeres sich hatte vorwerfen lassen müssen. Derselbe fehlte auch in
dem Huldigungszuge der kaiserlichen Familie vor dem neuen Zaren und
muß also vollständig in Ungnade gefallen sein. Wichtiger noch als diese
Familienauseinandersehung ist die Belassung Melikoff's auf seinem bisherigen
Posten. Die Befürchtung einer allgemeinen, noch stärkeren Reaction ist damit
unbeschadet der strengsten und höchst nothwendigen Polizeimaßregeln aller-
dings bejeitigt; darüber hinaus aber will man darin etwas voreilig auch
die feste Inangriffnahme einer eingreifenden Reformaera augedentet erwarten.
Die Lage des neuen Kaisers ist sowohl innerhalb seiner eigenen Familie als
gegenüber den bisher einflußreichsten Männern eine furchtbar schwierige.
Für den Angenblick ist es begreiflich, daß er von Pietät gegen dos Andenken
seines Vaters erfüllt, sich scheut, mit rauher Hand den Kreis der Actheeber
zu sprengen, deren Alexander II. sich vertrauensvoll bediente. Aber d
persönliche Band, welches die politisch auseinanderstrebenden Elemente .
der Umgebung des Zars bis dahin verknüpfte, ist zerschnitlen. Walnjew
steht gegen Loris-Melikoff, und Miljutin steht gegen Beide; Gortschakoff
wünscht, Rußland diplomatisirend vorwärts zu bringen, Schuwaloff zieht
die slarken Mittel den milden vor. Walujeff ist liberal in jenem veralteten
Sinne, in dem lediglich vermittelst europäischen Civilisations-Importes das
russische Volk zur Reife befördert werden sollte; Loris-Melikoff operirt mit
dem gesunden Menschenverstande, ohne Voreingenommenheit für irgend ein
System oder irgend eine Loctrin. Miljutin ist democratischer Panflavist
und Schuwaloff aristocratischer Anhänger des Einvernehmens mit Deutsch-
land z Oesterreich-Ungarn. Wer# von ihnen wird fallen, wessen Nath und
Einfluß wird siegen: An dieser Frage hängt nicht zum geringen Theile
die nächste Zukunft Europa's.
16. März. Von einer feindseligen Stellung gegen Deutsch-
land, wie gefürchtet wurde, ist wenigstens vorerst keine Rede. Der
Leiter des Auswärligen Amtes v. Giers richtet folgende Circular=
Depesche an die Vertreter Rußlands im Auslande:
„Se. Maj. der Kaiser übernimmt bei Besteigung des Thrones seiner
Ahnen die durch die Zeit und Thaten seiner Vorfahren, durch die Mühen
und Opfer vergangener Generationen geweihten Ueberlieferungen. Indem
Se. Mal diese Erbschaft voll und ganz übernimmt, stellt allerhöchstderselbe
es sich zur heiligen Aufgabe, dieselbe seinen Nachfolgerm unverkürgt zu über-