Object: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DER PRESSECHEF VON 1914 443 
Liebhaber traf. Er mietete ein Zimmer über dem Zimmer, wo die Rendez- 
vous der Verliebten vor sich gingen, bohrte dort ein Loch durch den Fuß- 
boden und beubachtete die Vorgänge, die sich unter ihm abspielten und 
die ihn nicht erfreuten. Das Ganze würde einem Boccaccio den Stoff zu 
einer lustigen Erzählung geboten haben. Leider griff der Staatsanwalt ein 
und erhob gegen den Geheimrat Hammann, der die Korrektheit seiner 
Beziehungen zu seiner Dulcinea eidlich bekräftigt hatte, Anklage wegen 
Meineids. Ich wurde von vielen Seiten gedrängt, Hammann vom Dienste zu 
suspendieren. Der furchtsame Staatssekretär Schön weigerte sich, mit 
Hammann zugleich in der Budgetkommission des Reichstags zu erscheinen. 
Ich ließ Hammann in dieser bedrängten Lage nicht fallen. Er hatte sich 
mir gegenüber in einem kritischen Moment, nach meiner Ohnmacht im 
Reichstag, treu und tapfer benommen, und cs war seit jeher eine meiner 
Lebensregeln, geleistete Dienste nicht zu vergessen. Es wurde ein Ausweg 
dahin gefunden, daß Hammann von sich aus seine Entbindung vom Dienste 
bis auf weiteres beantragte. Er wurde schließlich freigesprochen, aber es 
war entschuldbar, daß er in den bangen Wochen, wo er mit einem Fuß 
im Zuchthaus zu stehen fürchtete, für sein Ressort unter ohnehin schwie- 
rızen Verhältnissen und bei stürmischer politischer Lage nicht die wün- 
schenswerte Ruhe und geistige Freiheit besaß. Ich habe übrigens Hammann 
nicht nur für seine mir am 5. April 1906 bewiesene Treue belohnt, sondern 
ihm dauernd wieder in den Sattel geholfen. Er blieb auch unter Betlimann 
Hollweg und gewann unter diesem einen politischen Einfluß, den er unter 
mir nicht hatte, wo er insbesondere auf dem Gebiete der auswärtigen 
Politik nur die für die Orientierung der Presse wünschenswerten Direktiven 
erhielt, nicht aber tieferen Einblick in vertrauliche außenpolitische Vor- 
gänge. Ich fürchte, daß Hammann, der für die Behandlung verwickelter 
diplomatischer Fragen und nun gar für große Probleme der auswärtigen 
Politik weder Erfahrung noch Kenntnis des Auslands noch den unerläß- 
lichen Takt mitbrachte, im Sommer 1914 zu der mit dem Ultimatum an 
Serbien eingeleiteten plumpen Politik sein Teil beigetragen hat. Die unglück- 
liche Bethmannsche Rede vom 4. August 1914 erinnerte mich in Fassung und 
Gedankengang an Hammannsche Entwürfe für ufhiziöse Presseartikel, die 
noch nicht meine Zensur passiert hatten. Die Pressepropaganda während 
des Weltkrieges hat der inzwischen zur Exzellenz avancierte Otto Ham- 
mann mit wenig Glück geleitet. Die verschiedenen Bücher, die Hammann 
später über zeitgenössische Politik veröffentlicht hat, stehen unter dem 
Einfluß der jeweiligen Machtverhältnisse in Deutschland. Als sein erstes 
Buch „Der neue Kurs“, d.h. der Caprivi-Kurs, erschien, fühlte sich der 
Kaiser noch ganz Herr der Lage. Rebus sic stantibus behandelte Hammann 
den Sturz von Bismarck in der Tonart eines Offiziösen von 1891: „Nach der
	        
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