Gesetzgebung. 67
der Landesherr ohne Mitwirkung des Landtages im Falle eines
Notstandes erlassen kann, die aber außer Kraft gesetzt werden
müssen, wenn der Landtag nachher seine Zustimmung verweigert,
kennt die Reichsverfassung nicht. Nur einige wenige Reichsgesetze
geben teils dem Bundesrate, teils dem Kaiser die Ermächtigung,
Angelegenheiten, die nach den allgemeinen Rechtssätzen der Ver-
fassung durch Reichsgesetze zu normieren sind, durch Verord-
nungen zu normieren, die aber dem Reichstage nachträglich zur
Genehmigung vorzulegen sind. Erteilt der Reichstag die Ge-
nehmigung, so erhalten sie dadurch die rechtliche Geltung von
Reichsgesetzen. Versagt der Reichstag die Genehmigung, so
treten sie entweder mit der Versagung außer Kraft, oder sie
sind von dem Bundesrate oder dem Kaiser, die sie erlassen
haben, außer Kraft zu setzen. Zu der ersteren Klasse gehören
z. B. die Verordnungen des Bundesrates, durch welche er das
in § 16 der Gewerbeordnung enthaltene Verzeichnis der ge-
nehmigungspflichtigen gewerblichen Anlagen ergänzen kann, die
Verordnungen des Kaisers, durch welche er mit Zustimmung
des Bundesrates das Rechtsmittel der Revision in bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten ausdehnen oder beschränken kann (Ein-
führungsgesetz zur Zivilprozeßordnung § 6). Zu der zweiten
Klasse gehören z. B. die Verordnungen des Bundesrates, durch
welche nach § 56b Abs. 2 der Gewerbeordnung gewisse Gegen-
stände und Leistungen zeitweilig vom Gewerbebetrieb im Umher-
ziehen ausgeschlossen werden können.
Hat der Bundesrat ein Gesetz sanktioniert, so bedarf er
der Mitwirkung des Kaisers zur Ausfertigung und Verkündigung
des Gesetzes. (Siehe oben S. 54.)
Der Kaiser hat im Namen des Reiches völkerrechtliche
Verträge abzuschließen. Aber er kann ohne Mitwirkung des
Bundesrates das Reich auch durch einen völkerrechtlichen Ver-
trag nicht verpflichten, das Reichsrecht abzuändern oder für einen
Gegenstand Rechtsnormen zu erlassen, die in den Bereich der
Gesetzgebung gehören. Er bedarf vielmehr zum Abschluß solcher
Verträge der vorherigen Zustimmung des Bundesrates und nur
durch Genehmigung des Reichstages können solche Verträge
Gültigkeit erlangen (Art. 119).
In Ausübung der souveränen Reichsgewalt hat der
Bundesrat ferner Verwaltungsfunktionen auszuüben. Sofern
die Verfassung oder ein Reichsgesetz nichts anderes bestimmen,
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