Die Grundsätze
des Achtens.
Die Grundsätze
des Teilnehmens.
Die Grundsätze
des richtigen
Rechtes als
methodische
Richtlinien.
50 RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft.
Weise des Urteilens, die hier Platz zu greifen hat, für sich erst einmal zu
erwägen.
Nun ist in dem Gedanken der ‚„Menschengemeinschaft‘‘ zweierlei gelegen:
die Richtung der Gemeinsamkeit derZwecke und der Hinweis auf Menschen
als vernünftige Wesen, als Selbstzwecke. Man kann in dieser Weise den
idealen Grundgedanken alles sozialen Lebens auch als den einer Gemein-
schaft von Selbstzwecken bezeichnen. Es sind nur zwei Ausstrahlungen
einer und derselben Idee, wenn die Sprüche nebeneinander stehen: ‚Einer trage
des andern Last‘‘, und doch wieder „Ein jeder wird seine eigene Last tragen‘,
Die methodische Form dieser Gedankenrichtungen nenne ich die Grund-
sätze des richtigen Rechtes. Sie lauten dahin:
I. Die Grundsätze des Achtens: a) Es darf nicht der Inhalt eines
Wollens der Willkür eines anderen anheimfallen. b) Jede rechtliche Anforde-
rung darf nur in dem Sinne bestehen, daß der Verpflichtete sich noch der Nächste
sein kann. — Diesen Formeln ist das gemeinsam, daß der Sinn eines rechtlichen
Gebotes nicht der sein darf, daß der einzelne Gemeinschafter den bloß sub-
jektiven Zwecken des anderen alles opfere, daß er ‚müssen muß‘ und per-
sönlich begrenzte Ziele jenes als sein letztes Gesetz zu erachten habe.
Es zeigt sich diese formale Gedankenrichtung einmal in der Frage des Be-
stehens einer bestimmten Verpflichtung — anzuwenden zum Beispiel in der
Begrenzung der Vertragsfreiheit, die nicht ‚gegen die guten Sitten‘ sein soll —
und sodann in der des Ausführens von Rechtsverhältnissen — beispielsweise
in dem Satze, daß der Schuldner die Leistung ‚nach Treu und Glauben‘‘ zu
bewirken habe.
2. Die Grundsätze des Teilnehmens: a) Es darf nicht ein rechtlich
Verbundener nach Willkür von der Gemeinschaft ausgeschlossen sein. b) Jede
rechtlich verliehene Verfügungsmacht darf nur in dem Sinne ausschließend
sein, daß der Ausgeschlossene sich noch der Nächste sein kann. — Diese Sätze
bringen zum Ausdruck, daß das rechtliche Gebot, das die Einzelnen zu einem
gemeinsamen Kampfe um das Dasein vereinigt, seiner Idee nicht untreu wer-
den darf. Es würde aber in einen Widerspruch mit seinem idealen Grundge-
danken geraten, wenn es zu gleicher Zeit den Einzelnen dem sozialen Zusammen-
schlusse zwangsweise unterwürfe und ihn doch im besonderen Falle als einen
solchen behandelte, der ausschließlich rechtliche Pflichten hätte. Die Fälle
der Not, in denen ein Gemeinschafter doch wieder vereinzelt dem Ringen um
sein Bestehen überlassen werden würde, führen in die konkret anwendende
Fragestellung für unsere Grundsätze hinein, die sich dann bis in die kleinsten
Einzelheiten des rechtlichen Verkehrs, etwa in den Zweifeln über die Gültig-
keit gewisser Konkurrenzklauseln oder die Zulässigkeit von Verrufsberedungen
verzweigend äußert.
In jedem Falle muß nun das Mißverständnis fern bleiben, als ob die Grund-
sätze des richtigen Rechtes selbst wieder juristische Paragraphen wären,
daß sie eigene, allgemeingültige Rechtssätze bedeuteten. Sie sind nichts,
als methodische Richtlinien für die Auswahl unter mehreren rechtlichen