bs 1900
& XII. Verordnung,
betreffend das Verfahren bei Entmündigungen wegen Geisteskrankheit
oder Geistesschwäche,
vom 18. Jannar 1900.
Mit landesherrlicher Genehmigung verordnen wir in Bezug auf das Ver-
fahren bei Entmündigungen wegen Geisteskrankheit oder wegen Geistesschwäche in
wesentlicher Uebereinstimmung mit den übrigen bei dem gemeinschaftlichen Ober=
landesgericht in Jena betheiligten Regierungen, was folgt:
I. Thätigkeit der Staatsanwaltschaft.
§ 1.
Die Staatsanwaltschaft hat, sobald ihr geeignete Fälle bekannt werden, darüber
zu wachen, daß beim Vorhandensein der gesetlichen Voranssehungen (§ 2) die Ent-
mündigung eines der Fürsorge bedürftigen Geisteskranken oder Geistesschwachen er-
folgt, und daß Personen, bezüglich deren die bezeichneten Voraussetzungen nicht
gegeben sind, nicht entmündigt werden, daß auch eine Entmündigung beim Weg-
fall ihres Grundes wieder aufgehoben wird.
Zu diesem Zwecke hat die Staatsanwaltschaft selbständig die geeigneten An-
träge zu stellen und von einem auf Antrag eines anderen Berechtigten eingeleitelen
Verfahren fortlaufend Kenntniß zu nehmen.
6 2.
Eutmündigt kann werden, wer in Folge von Geisteskrankheit oder von
Geistesschwäche seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag (Bürgerliches Gesetz-
buch § 6 Nr. 1). Unter Angelegenheiten sind nicht nur Vermögensangelegenheiten,
sondern die gesammten Lebensverhältuisse, z. B. auch die Sorge für die eigene
Person, die Sorge für Angehörige, die Erziehung der Kinder u. dgl. zu verstehen.
Aus einem anderen als dem bezeichneten Grunde darf die Entmündigung
nicht erfolgen, insbesondere nicht lediglich aus polizeilichen Rücksichten oder im
ausschließlichen Interesse anderer Personen.