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rich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. vor Einführung
der preussischen Verfassung besessen haben. Diese absoluten
preussischen Monarchen hatten zwar die Befugniss, die bestehen-
den Gesetze jeder Zeit aufzuheben oder abzuändern, aber nicht
die Befugniss, dieselben formell bestehen zu lassen und doch im
konkreten Falle über die Schranken der Gesetze hinauszugehen.
Ein lehrreiches Beispiel bietet in dieser Beziehung die Geschichte
des berühmten preussischen Gesetzes vom 17. Jan. 1820 betr.
die künftige Behandlung des gesammten Staatsschuldenwesens *°.
Dasselbe bestimmt in $ II: „Sollte der Staat künftig zu seiner
Erhaltung oder zur Förderung des allgemeinen Besten in die
Nothwendigkeit kommen, zur Aufnahme eines neuen Darlehens
zu schreiten, so kann solches nur unter Zuziehung und unter
Mitgarantie der künftigen reichsständischen Verfassung
geschehen.“ — Als nun die Entwickelung des preussischen Eisen-
bahnwesens eine Staatsanleihe nöthig machte, hatte der König
die Wahl, das Gesetz vom 17. Jan. 1820 aufzuheben oder die
Zustimmung der in dem Gesetz vorgesehenen Reichsstände einzu-
holen. Er konnte aber nicht das Gesetz formell bestehen lassen
und trotzdem ohne Zustimmung der Reichsstände eine Anleihe
für den preussischen Staat aufnehmen. Es ist bekannt, dass dieses
Dilemma zur Einberufung des Vereinigten Landtags geführt hat.
Eine Gesetzesbestimmung, welche: dem ÖOberpräsidenten
grössere Machtbefugnisse einräumte, als sie die absoluten Könige
von Preussen besessen haben, gehörte überhaupt nicht in ein
Verwaltungsgesetz, sondern in das Verfassungsgesetz vom 9. Juni
1871. Wenn aber doch eine solche Bestimmung in ein Verwal-
tungsgesetz aufgenommen wäre, so hätte sie jedenfalls als die
allerwichtigste Bestimmmung an der Spitze dieses Gesetzes stehen
müssen, und nicht in einem verborgenen Winkel dieses Gesetzes
unter der gänzlich unpassenden Rubrik „Kaiserlicher Rath“,
#° Gesetzsammlung für die Preussischen Staaten, 1820, No.2 8.9 ff.