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Nach Artikel 76 I ist nun der Bundesrat — anders wie
nach Art. 11 Abs. 4 der Bundesakte die Bundesversamm-
lung kompetent war — nur zuständig, falls Streitigkeiten
zwischen verschiedenen Bundesstaaten nicht privatrecht-
licher Natur zu erledigen sind. Die Erfordernisse für die
Anwendung des Art. 76 I sind, wie wir schon in der Ein-
teilung gesehen haben, teils materiell, teils formell, dann
aber auch sowohl positiv wie negativ.
Zunächst müssen wir einmal untersuchen, da das Wort
„streitigkeit“ in beiden Absätzen des Art. 76 vorkommt,
was wir unter „Streitigkeit“ verstehen wollen. Es ist klar,
daß Streitigkeiten im Sinne von Art. 76 nur dann entstehen,
wenn verschiedene Staaten „Ansprüche“ haben, mag es sich
nun um Interessen oder Rechtsansprüche handeln. Diese An-
sprüche müssen von den verschiedenen Staaten auf denselben
Gegenstand erhoben werden, wobei jeder einzelne Staat auf
die Erfüllung seiner Ansprüche bestehen muß. Je nachdem
nun diese Ansprüche sich gegenüberstehen, kann man von
Streitigkeiten oder einer bloßen Meinungsverschiedenheit
sprechen. Eine umfassende Definition für diese beiden Be-
griffe zu geben, ist bei der Flüssigkeit der Grenzen sehr
schwer, wenn nicht gar unmöglich. Ich würde die Unter-
scheidung darauf abstellen, ob noch die Möglichkeit einer
gütlichen Beilegung der Differenzen besteht. Wenn ja, dann
würde es sich m. E. um eine bloße Meinungsverschiedenheit
handeln, dieser Fall also nicht unter Art. 76 fallen, sonst
würde allerdings eine Streitigkeit im Sinne von Art. 76 in
Betracht kommen. Natürlich kann aus einer Meinungsver*
schiedenheit leicht eine Streitigkeit entstehen, dann z. B.,
wenn sich die gegenseitigen Ansprüche derartig zugespitzt
haben, daß eine gütliche Vermittlung ausgeschlossen er-
scheint. In einem solchen Falle würden also unabhängige
Staaten zu dem äußersten Mittel greifen, d. h. zur Aus-
tragung ihrer Streitigkeit mit Waffengewalt. Da dieser
Weg den deutschen Bundesstaaten aus oben erwähnten
. .