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daß Artikel 33, der die Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses
festsetzt, nicht unter die suspendierbaren Rechte ausgenommen
ist. Der § 5 Reichspostgesetz vom 28. 10. 1871, der an Stelle
des Artikel 33 getreten ist, enthält ebenfalls keine Bestimmung
darüber, daß er in Zeiten des Kriegs= oder Belagerungszustandes
aufhebbar ist, sondern läßt Ausnahmen von der Unverletzlich-
keit des Briefgeheimnisses nur für strafrechtliche Untersuchungen,
für Konkurse und zivilprozessuale Fälle zu.
Die Frage ist mit verschiedener Begründung teils beiaht,
teils verneint worden. Am weitesten gehen v. Rönne-Zorn
(Staatsrecht der Pr. Monarchie Bd. II S. 169), Sydow (in
Stengels Wörterbuch des Verwaltungsrechts Bd. I S. 246)
und Arndt (D.J.Z. 1914 S. 1098). Diese nehmen die Zulässig-
keit der Briefzenfur sogar ohne Außerkraftsetzung des Artikel 6
an, die beiden ersteren, weil der Militärbefehlshaber den Post-
behörden die Aushändigung von Postsendungen oder die Aus-
kunft über solche ohne weiteres anbefehlen kann, und die Post-
behörden diesem Befehl unweigerlich Folge zu leisten haben,
Arndt dagegen von seinem schon mehrfach abgelehnten Stand-
punkt, daß im Kriege lediglich militärische Rücksichten gelten.
Die Unrichtigkeit der ersten Begründung ergibt sich aus den
Darlegungen zu § 4: allerdings hat die Postbehörde den An-
weisungen des Militärbefehlshabers Folge zu leisten; aber dieser
ist bei seinen Anordnungen an die Gesetze gebunden, die ihm auf
Grund des 4 allein keine Handhabe zu einem derartigen Vor-
gehen bieten. Selbst wenn er die Aushändigung von Briefen
erlangte, würde er noch nicht berechtigt sein, die Briefe zu öffnen
und durchzusehen. Daher lehnt auch Olshausen a. a. O. diesen
Standpunkt mit Recht ab, bejaht aber die Zulässigkeit des Ein-
greifens in das Briefgeheimnis, sobald Artikel 6 aufgehoben ist.
Wie sich dieser Eingriff aber mit Artikel 33 und § 5 Reichspost-
gesetz verträgt, sagt er nicht. Auf dem Standpunkt Olshausens
steht auch Anschütz (Zeitschr. f. d. ges. Strafr. Bd. 36 S. 487)
und im Anschluß an ihn Goldschmidt S. 12 Anm. 29: er hält
die Nichtaufhebbarkeit des Artikel 33 und § 5 Postgesetz für