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in Zusammenhang mit dem Hausrecht verbürgten Schutz der
Briefe vor Durchsuchungen und Beschlagnahmen macht, einer
Unterscheidung, der sich auch die St. P. O. angeschlossen habe;
die Aufhebung des Artikel 6 ermögliche daher wohl eine schranken-
lose Beschlagnahme von Briefen bei Privaten und in deren
Wohnungen, nicht aber gegenüber der Post in den Postämtern;
dem ständen eben Artikel 33 und § 5 Reichspostgesetz entgegen.
Nur diese letztere Begründung scheint zutreffend zu sein.
Man kann unmöglich mit Anschütz den Artikel 33 und §55 Reichs-
postgesetz völlig ausschalten. Dies hieße auch die Aufhebbarkeit
dieser Bestimmungen anerkennen, was doch gerade das Gesetz,
wie sich aus seinem Schweigen ergibt, nicht gebilligt hat. Aller-
dings meint Anschütz (Verfassungsurkunde für den Preußischen
Staat Bd. I S. 138ff. und D. Str. S. 1914 S. 455), daß Art. 5
alle die einzelnen Freiheiten umfasse, die in den folgenden
Artikeln der Verfassungsurkunde der Vorsicht halber noch be-
sonders genannt sind, und daß daher diese nachfolgenden Artikel
durch die Aufhebung des Artikel 5 ebenfalls beseitigt sind. Dies
geht aber m. E. zu weit und entspricht nicht den Intentionen
des Gesetzgebers. Allerdings ist im Grunde genommen das Brief-
geheimnis ein Teil der persönlichen Freiheit; aber dadurch,
daß die Verfassungsurkunde diesen Teil besonders aufführt,
hat sie ihn mit einem besonderen über den Artikel 5 hinaus-
gehenden Schutz versehen wollen, wie dies gerade für den vor-
liegenden Fall aus dem Artikel 111 und dem &5 5 B.Z. G. hervor-
geht. Ebensowenig spricht die Gehorsamspflicht der Postbehörden
für die Ansicht von Anschütz; denn die erste Frage ist eben die,
ob der Militärbefehlshaber zu einer solchen Anordnung über-
haupt gesetzlich berechtigt ist, und diese Frage ist bei der Lage
des Gesetzes zu verneinen. Auf der anderen Seite steht freilich
der Ansicht Gallis ein erhebliches Bedenken entgegen. Ein
unumschränktes Recht zur Beschlagnahme von Briefen ist
illusorisch, wenn es nicht auch das Recht zur Offnung und Durch-
sicht enthält. Die analoge Anwendung der St. P. O. rechtfertigt
die Ansicht Gallis nicht; denn auch dieses Gesetz behandelt offen-