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Streitig ist nur, auf welcher Grundlage das Recht der M. B.
zur Aufhebung beruht; denn aus der Fassung des § 5 könnte
man schließen, daß das Recht demjenigen zusteht, der das Recht
zur Erklärung des Kriegszustandes hat. Dieses hat aber beim
reichsrechtlichen Kriegszustand nur der Kaiser. Das Reichs-
gericht, das sich ebenfalls mit dieser Frage beschäftigt hat, hat
einen einheitlichen Standpunkt nicht eingenommen. Während
der III. Senat in der Entsch. vom 12. 7. 1915 (Recht 1915 S. 516
Nr. 839) annimmt, daß das Recht zur Aufhebung dem M. B.
vermöge seiner vollziehenden Gewalt zusteht, lehnt dies der
IV. Senat in der Entsch. vom 22. 10. 1915 (Recht 1915 S. 611
Nr. 1123, Pr. Verw. Bl. Bd. 37 S. 263 II) ausdrücklich ab und
gründet das Recht des Militärbefehlshabers auf eine ausdrück-
liche oder stillschweigende Ubertragung der Befugnis durch den
Kaiser, dem zunächst allein das Recht zustehe; eine solche über-
tragung entspreche dem Wortlaut und Zweck des Gesetzes. Den-
selben Standpunkt wie der IV. Senat nehmen Haenel S. 444
Anm. 22, Nikolai S. 30, Anschütz (D. Str. Z. 1914 S. 454) ein.
Den des III. Senats teilen Galli (D. Str. Z. 1914 S. 572) und
Goldschmidt S. 11. Eine Sonderstellung nimmt Haldy S. 56
ein: „Die M. B. haben die Ermächtigung durch das Geset selbst;
ist die Verhängung des Kriegszustandes einmal angeordnet,
so übt jeder Unterführer ihre Wirkung aus, im Namen und als
abgeleitetes Recht des Oberbefehlshabers.“
M. E. treffen diese Auffassungen nicht das Richtige. Aus
dem Begriff der vollziehenden Gewalt läßt sich das Recht der
M. B. deshalb nicht erklären, weil diese ja an die Gesetze gebunden
ist und nicht Gesetze aufheben kann. Die vollziehende Gewalt
kann unmöglich selbst eine an sich nicht zulässige Erweiterung
ihrer Macht vornehmen. Aber auch die Annahme einer
Delegationsbefugnis des Kaisers läßt sich aus § 5 nicht recht-
fertigen. Eine solche ist dem Wesen des preußischen Gesetzes
fremd; denn dann müßte man annehmen, daß bei Verhängung
des landesrechtlichen Belagerungszustandes auch der M. B.
das Recht aus § 5 weiter delegieren könnte. Eine solche An-