Full text: Das Gesetz über den Belagerungszustand nebst Abänderungsgesetz unter Berücksichtigung des Bayerischen Gesetzes über den Kriegszustand. (122)

120 85. 
Streitig ist nur, auf welcher Grundlage das Recht der M. B. 
zur Aufhebung beruht; denn aus der Fassung des § 5 könnte 
man schließen, daß das Recht demjenigen zusteht, der das Recht 
zur Erklärung des Kriegszustandes hat. Dieses hat aber beim 
reichsrechtlichen Kriegszustand nur der Kaiser. Das Reichs- 
gericht, das sich ebenfalls mit dieser Frage beschäftigt hat, hat 
einen einheitlichen Standpunkt nicht eingenommen. Während 
der III. Senat in der Entsch. vom 12. 7. 1915 (Recht 1915 S. 516 
Nr. 839) annimmt, daß das Recht zur Aufhebung dem M. B. 
vermöge seiner vollziehenden Gewalt zusteht, lehnt dies der 
IV. Senat in der Entsch. vom 22. 10. 1915 (Recht 1915 S. 611 
Nr. 1123, Pr. Verw. Bl. Bd. 37 S. 263 II) ausdrücklich ab und 
gründet das Recht des Militärbefehlshabers auf eine ausdrück- 
liche oder stillschweigende Ubertragung der Befugnis durch den 
Kaiser, dem zunächst allein das Recht zustehe; eine solche über- 
tragung entspreche dem Wortlaut und Zweck des Gesetzes. Den- 
selben Standpunkt wie der IV. Senat nehmen Haenel S. 444 
Anm. 22, Nikolai S. 30, Anschütz (D. Str. Z. 1914 S. 454) ein. 
Den des III. Senats teilen Galli (D. Str. Z. 1914 S. 572) und 
Goldschmidt S. 11. Eine Sonderstellung nimmt Haldy S. 56 
ein: „Die M. B. haben die Ermächtigung durch das Geset selbst; 
ist die Verhängung des Kriegszustandes einmal angeordnet, 
so übt jeder Unterführer ihre Wirkung aus, im Namen und als 
abgeleitetes Recht des Oberbefehlshabers.“ 
M. E. treffen diese Auffassungen nicht das Richtige. Aus 
dem Begriff der vollziehenden Gewalt läßt sich das Recht der 
M. B. deshalb nicht erklären, weil diese ja an die Gesetze gebunden 
ist und nicht Gesetze aufheben kann. Die vollziehende Gewalt 
kann unmöglich selbst eine an sich nicht zulässige Erweiterung 
ihrer Macht vornehmen. Aber auch die Annahme einer 
Delegationsbefugnis des Kaisers läßt sich aus § 5 nicht recht- 
fertigen. Eine solche ist dem Wesen des preußischen Gesetzes 
fremd; denn dann müßte man annehmen, daß bei Verhängung 
des landesrechtlichen Belagerungszustandes auch der M. B. 
das Recht aus § 5 weiter delegieren könnte. Eine solche An-
	        
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