§ 16. Bedeutung des § 16 — nicht Reichsrecht. 357
§ 16.
Auch wenn der Belagerungszustand nicht er-
klärt ist, können im Falle des Krieges oder Aufruhrs,
bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit
die Artikel 5, 6, 27, 28, 29, 30 und 36 der Ver-
fassungsurkunde oder einzelne derselben vom Staats-
ministerium zeit= und distriktweise außer Kraft
gesetzt werden.
I. Der § 16 behandelt die Zulässigkeit einer bloßen Außer-
kraftsetzung von Verfassungsartikeln ohne Verhängung des
Belagerungszustandes, ein Rechtsinstitut, das man den „kleinen
Belagerungszustand“ genannt hat, aber, wie Laband (5. Auflage
Bd. 4 S. 44 Anm. 3) und Haldy S. 66 mit Recht hervorheben,
zu Unrecht: denn die besonderen Merkmale des Belagerungs-
zustandes, die Vereinigung der gesamten vollziehenden Gewalt
in einer Hand und die Verschärfung der Strafvorschriften fehlen
diesem Institut vollständig. über die staatsrechtliche Qualifizierung
dieser Einrichtung vgl. Haldy a. a. O., der die Befugnis aus + 16
einen Bestandteil der Regierungsexekutive und den auf Grund
der Befugnis erlassenen Beschluß eine Quasi-Landespolizei-
verfügung nennt. Dem wird im allgemeinen zuzustimmen sein.
II. § 16 ist nicht Reichsrecht geworden. Denn der Art. 68
der R. V. spricht nur von dem Recht des Kriegszustandes, für
dessen Voraussetzungen, Verkündungsform und Wirkungen
das B. Z. G. maßgebend ist. Das neben dem Belagerungszustand
selbständig bestehende Institut der bloßen Suspension ist nicht
übernommen (ebenso Haenel Bd. 1 S. 434 Anm. 3, Laband a. a. O.,
Nicolai S. 38, Stenglein Note zu § 16). Daß trotzdem, wie
Haldy S. 39 im Anschluß an v. Mohl (Reichs-Staatsrecht S. 296)
behauptet, im preußischen Gebiet eine bloße Suspension von
Reichswegen, und zwar durch den Kaiser allein möglich ist, er-
scheint nicht richtig. Ist die Sicherheit im Reichsgebiet durch
Krieg oder Aufruhr bedroht, so steht dem Kaiser nach Art. 68