Object: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

538 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
mals um die Bezahlung seiner Schulden bitten mußte, sendeten sie als 
gute Hausväter beträchtliche Summen in die Kammerkasse und das Kriegs— 
gewölbe ihrer Heimath hinüber. Um so schwerer wog der Blutzoll, den 
das deutsche Stammland für die englische Krone seiner Kurfürsten zahlte. 
Hannover lieferte den drei Königreichen den besten Theil ihrer Festlands— 
heere, bald gegen Sold, bald aus eigenen Mitteln. In jedem Colonial— 
kriege richtete Frankreich seine Waffen gegen die einzige verwundbare Stelle 
des Inselreichs; die englische Handelspolitik aber konnte ihre überseeischen 
Eroberungen nur dann behaupten, wenn sie die Kräfte des Gegners theilte 
und auf das deutsche Nebenland ablenkte. Um Canada in Deutschland 
zu erobern, stellte das Kurland im siebenjährigen Kriege eine Truppenmacht 
von 45,000 Mann und opferte zu den 17 Mill. Thlr., welche der Kurfürst 
zahlte, noch die gleiche Summe aus den Landeskassen. Nur an dem 
Bürgerkriege gegen die amerikanischen Rebellen ließ Georg III. seine deut- 
schen Landeskinder nicht theilnehmen. Immerhin erhielt das Welfenland 
durch diese Kämpfe für fremde Zwecke wieder eine gehaltreiche Geschichte, 
das Heer große Erinnerungen, der denkende Theil der Bevölkerung eine 
politische Gesinnung, die sich neben der trägen Schlummersucht der benach- 
barten Kleinstaaten mannhaft und stattlich ausnahm. Wohl war das Volk 
nicht deutsch, sondern englisch gesinnt, aber auch nicht undeutsch schlecht- 
hin; denn der Kampf um den Ganges und den Lorenzstrom galt doch zu- 
gleich der Befreiung des deutschen Westens von den französischen Räubern. 
In Hannover wie in Hessen erregten die Siege Ferdinand's von Braun- 
schweig ein Bewußtsein deutscher Ueberlegenheit und unauslöschlichen Haß 
gegen das wälsche Wesen; der Bauer an der Weser ehrte die Veteranen 
von Minden und Crefeld als Muster deutscher Tapferkeit und jeden 
Schurken nannte er einen Kumpfländer nach dem Plünderer Conflaus. 
Dem inneren Leben des hannoverschen Staates, das soeben erst 
unter dem kraftvollen Regiment Ernst August's in frischen Zug gekommen 
war, brachte die Verbindung mit England schweren Schaden. Das Kur- 
fürstenthum zerfiel in sechs selbständige Landschaften, die mit eigenen Land- 
ständen, Steuern, Zöllen ausgestattet, noch nicht viel mehr mit einander 
gemein hatten als den Landesherrn, das Heer, den Geheimen Rath und 
wenige Centralbehörden. Diese schwachen Anfänge monarchischer Einheit 
im Sinne Ernst August's auszubilden, das lockere Nebeneinander der 
Landschaften zu einem modernen Staate zusammenzufassen war nunmehr 
ganz unmöglich, seit der Landesherr in der Ferne weilte und der Adel 
seine „allmächtige Vicekratie“ einrichtete. Mit wachsamer Eifersucht behütete 
jeder der sechs Landtage seine habenden Freiheiten. Fast ein halbes Jahr- 
hundert verlief in ärgerlichen Verhandlungen, bis die Calenberger Stände 
sich endlich herbeiließen, den Landtag des Fürstenthums Grubenhagen, das 
außer den steuerfreien Harzern nur 35,000 Köpfe umfaßte, in seine Ge- 
meinschaft aufzunehmen. Welfische Patrioten bemerkten wohlgefällig, daß
	        
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