religiöse Aufklärung wirklich nur eine Sache des nüchternen Ver—
standes und nicht weit mehr ein Bedürfnis des Gemütes? Und
doch meinen wir, die Herzenswärme der Frauen werde leiden,
wenn wir sie in ihrer Weise sich erfreuen lassen an der großen
Geistesarbeit der jüngsten hundert Jahre. Kennen wir die deutschen
Frauen wirklich so wenig, daß wir meinen, sie würden jemals
„politisieren“, jemals sich den Kopf zerbrechen über Grundsteuern
und Handelsverträge? Und doch bietet das politische Elend dieses
Volkes eine rein menschliche Seite, welche von den Frauen viel-
leicht tiefer, feiner, inniger verstanden werden kann als von uns.
Soll denn von dieser Fülle des Enthusiasmus und der Liebe,
vor der wir so oft kalt und bettelarm und herzlos dastehen, nicht
ein ärmliches Bruchteil dem Vaterlande gelten? Muß erst die
Schande der Franzosenzeit sich erneuern, wenn unsere Frauen
wieder, wie längst schon alle ihre Nachbarinnen in Ost und West,
sich empfinden sollen als die Töchter eines großen Volkes? Wir
aber haben in unfreier Engherzigkeit allzulange vor ihnen ge-
schwiegen von dem, was uns das Innerste bewegte, wir hielten
sie gerade gut genug, um ihnen von dem Nichtigen das Nichtigste
zu sagen, und weil wir zu klein dachten, ihnen die Freiheit der
Bildung zu gönnen, ist heute nur eine Minderzahl der deutschen
Frauen im stande, den schweren Ernst dieser bedeutungsvollen
Zeit zu verstehen. —
Gewaltsam müssen wir unserer Feder ein Ziel setzen, denn un-
zählig sind die natürlichen und konventionellen Schranken, welche
die Gesinnung bald einzelner Klassen, bald der gesamten Gesell-
schaft verengern und dem Gedanken der persönlichen Freiheit ent-
fremden. Mögen diese Andeutungen daran erinnern, wie Großes
ein jeder in seinem Innern zu wirken hat, ehe er sich einen freien
Mann nennen darf, und wie unendlich vieles enthalten ist in der
aristotelischen Forderung der persönlichen Freiheit, in jenem „Leben
nach eigenem Belieben“. Nicht bloß die Zwangsgewalt des Staates
soll dem Bürger die Ausbildung eines eigenartigen Charakters
unverkümmert vergönnen. Die Gesellschaft soll hinausgehen über
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