810 Strafschärfungsgründe.
wagt Niemand zu bestreiten, während ein heftiger Kampf über die gesetzliche Formu-
lirung geführt wird, welcher leider, wie es scheint, die Veranlassung geworden, daß
die bezügliche (allerdings nicht ganz gelungene) Bestimmung des Nordd. I. Entw.
(§ 47) in das StrafGB. keine Aufnahme gefunden hat. 3) Die von dem Verbrecher
erlittene Untersuchungshaft wird von den Gesetzen und älteren Schriftstellern
in der Regel — namentlich wenn diese Haft eine „unverschuldete“ war — als S.
angesehen; in der That handelt es sich hier aber vielmehr um die Einrechnung
der Untersuchungshaft in die Strafhaft nach einem mit Rückficht auf die Schwere
der einen und der anderen festzustellenden Maßstab, ja wenn die Untersuchungshaft
eine unverschuldete war, sogar um eine Kompensation oder Abrechnung. Das
Deutsche StrafGB. (8 60) gestattet gänzliche oder theilweise Anrechnung der Unter-
suchungshaft auf die erkannte Strafe. — Rücksichtlich des nahezu vollständigen Ab-
laufes der Verjährungsfrist vgl. Thl. I. S. 742 ff. — Ueber die Befugniß des
Richters, entehrende Strafen in nicht entehrende umzuwandeln, ist an anderer Stelle
zu sprechen. — Nur als besondere S. bei einigen Verbrechen sind zu berück-
sichtigen: 1) Die Einwilligung des Verletzten, die bei manchen Verbrechen
gar nicht in Betracht kommen kann, während bei anderen wieder die Nichteinwilligung
Voraussetzung des Thatbestandes ist (so z. B. bei Diebstahl, Unterschlagung, Noth-
zucht rc.), bei mehreren Verbrechen endlich Strafmilderung die Folge der Einwilligung
des Verletzten sein muß (so bei der Tödtung vgl. StrafG B. § 2161] und schweren
Körperverletzung). 2) Der freiwillige Ersatz des durch das Verbrechen gestifteten
Schadens bei jenen Verbrechen, deren Wirkung zunächst nur eine Vermögens-
beschädigung ist, ohne daß sonstige Qualifikationen hinzutreten (einfache Diebstähle,
Unterschlagungen, Betrügereien, Sachbeschädigungen). Das Oesterreichische Straf GB.
macht den Schadensersah sogar zum Stratausschließungsgrund!
Lit. u. Gsgb.: Im Allgemeinen: Köstlin,, System, 587 ff. — Sundelin in v.
Groß's Ö . Strafrechtspflege II. — Wahlberg in Habmaeblr V.J. Schr. XI. (1863)
u. Verhandl. des vierten Deutschen Juristentags I. S. 179 — v. Tippelskirch ebenda
157 ff. — Lippmann, Historisch-dogmatische Darstellung der Lehre von der richterlichen
nN]N 8 1863. d#e Nertel Allg. Deutsche Strafrechtsztg. 1864, 1865; Derselbe
in v. Holtzendorff's Handb. II. S. 545 ff.; IV. S. 215 f. — Zimmermann, Gerichtsf.
1871. — Ruhstrat, ebenda 1872, S. 128 ff. — Meves, Deutsche StrafR.Ztg. 1872, S. 273ff.—
Binding, Grundriß S. 134 fl. — Betreffs d. Untersuchungshaft: Abegg, N. A. XIV. —
Waher in Haimerl's V.J. Schr. I. — (Magers) Goltdammer's Arch. XX. S. 239
— Betr * d. Schadensersatzes: Fornet, Gerichtssaal 1868. — Geyer, ebenda 1869. —
4% (abgesehen von den Bestimmungen über d. Jugend): Oesterreich: Straf GB. 8§ 46
litt. Seiu , 47 litt. c, 54, 187, 188 264 litt. k, 266; StrafPO. von 1873, 88 338, 442
(die eiur Gesetze bezeichnen die Strafminderungsgründe mit dem Namen „mildernde
Umstände" oder „Milderungsgründe"). — Deutsches StrafG B. § 60. — Franz. Ges. vom
28. April 1832, Art. 5, 94, 102 (C. Dinstr. crim. art. 341; C. pén. art. 463, 4% v
eyer.
Strafschärfungsgründe (Thl. I. S. 737 ff.): Umstände, bei deren Vor-
handensein dem Richter gestattet oder selbst geboten ist, über das höchste Maß der
gesetzlichen ordentlichen Strafe hinauszugehen, ja sogar statt der poena ordinaria eine
Strafe schwererer Art zu verhängen. Eine unbedingte allgemeine Ermächtigung des
Richters zur Strafschärfung vertheidigt heutzutage Niemand mehr, da derselben nicht
blos jene Gründe entgegenstehen, welche gegen eine allgemeine Ermächtigung zur
Strafmilderung sprechen, sondern überdies der richterlichen Willkür durch ein solches
allgemeines Strasschärfungsrecht in der gehässigsten Weise Vorschub geleistet wird.
Die Voraussetzung einer Strafandrohung ist nach richtigen Anschauungen die gesetzliche
Angabe des Thatbestandes, auf welchen jene gedrohte Strafe angewandt werden soll;
dieser Grundsatz wird bei Ertheilung eines Schärfungsrechtes ohne gesetzliche Angabe
der S. verletzt. Das Mehr von Strafe, welches der Richter in Folge dessen über
die ordentliche gesetzliche Strafe hinaus verhängt, ist zuletzt nichts anderes, als eine
auf richterlichem Ermessen allein beruhende Strafe, deren Voraussetzungen im Gesetz
nicht bezeichnet sind. In diesem Sinne ist es also allerdings richtig (was man