Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

274 Des Veusche Reich und seine einjeluen GSlieder. (Mai 10.) 
stellungen erheben, auf diesem Wege schleunigst zu erledigen. Ich bedaure, 
daß bei einer so wichtigen Verhandlung kein Vertreter des Kriegsministe- 
riums anwesend ist. Es ist gesagt worden, die Herren könnten sich ja be- 
schwerdeführend an das Kriegsministerium wenden; aber man denkt hier 
unwillkürlich an das Sprichwort: „Eine Krähe hackt der andern die Augen 
nicht aus.“ Ganz einzig dastehend ist auch die durch Reglements geschaffene, 
geradezu wie eine Umgehung des Gesetzes aussehende Einrichtung, daß die 
Militärintendanten über alles mögliche dem Korpskommandanten oder dem 
Chef des Generalstabes Vortrag zu halten haben. Wie reimt sich solche 
Unterordnung mit der Bestimmung des Gesetzes zusammen, daß die Mili- 
tärbeamten bei Verletzung ihrer Dienstvorschriften ausschließlich der vor- 
gesetzten Verwaltungsbehörde unterworfen sind? Was soll hier der Ein- 
griff einer völlig unverantwortlichen Stelle? Die Ausdehnbarkeit des 
8 25 des Militärbeamtengesetzes hat es ermöglicht, daß die mißliebig ge- 
wordenen Militärintendanten von den Korpskommandanten ausgebootet 
werden, sie werden in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Auf Grund 
welches Gesetzes haben die Kommandierenden Generale diese Befugnis? 
Dieses Vorgehen ist ein durchaus gesetzwidriges. 
Abg. Erzberger (3.): Es handelt sich um eine sehr schwierige 
staatsrechtliche. finan zrechtliche und politische Frage. Da wäre es aller- 
dings sehr erwünscht gewesen, wenn der eine oder andere Vertreter des 
Kriegsministeriums hier anwesend wäre. Eine Vertretung der Regierung 
in der Kommission allein genügt nicht. Es wäre auch zu überlegen, ob 
wir angesichts eines völlig leeren Bundesratstisches überhaupt weiter be- 
raten sollen, da das Petitionsrecht des deutschen Bürgers in dieser Weise 
nicht mißachtet werden darf. Es handelt sich hier darum, ob die vom 
Reichstage bewilligten 800 Millionen Militärausgaben von unverantwort- 
lichen Offizieren oder verantwortlichen Beamten ausgegeben werden sollen, 
das heißt, soll uns eine Kontrolle hierüber zustehen oder nicht. Es kann 
kein Zweifel darüber sein, daß die Verwaltung aller dieser Gelder lediglich 
dem Kriegeministerium zu unterstehen hat. Wer auf dem Boden der 
Reichsverfassung steht, muß dafür sorgen, daß diesem Zustande ein Ende 
gemacht wird. Soll der Intendant außer dem Kriegsminister auch noch 
dem unverantwortlichen Korpskommandanten unterstehen? Eine Kabinetts- 
order von 1820, die auf ganz andere Zustände zugeschnitten war, paßt doch 
heute nicht mehr. Jeder Militärintendant kann einem leid tun, der unter diesen 
zwiespältigen Verhältnissen zu arbeiten hat. Wir haben ein Interesse daran, 
eine vollkommen freie, unabhängige Intendantur zu haben; heute aber haben 
wir sie nicht; der jetzige Zustand ist geradezu unerträglich für die verant- 
wortlichen Leiter des Intendanturwesens, namentlich in Bezug auf Bauten 
und Dienstreisen. Der verabschiedete Intendant macht nun zum ersten 
Male auf diese Verhältnisse aufsmerksam, und da wäre es in der Tat am 
Platze gewesen, wenn die Kriegsverwaltung sich hier hätte vertreten. 
Nachdem auch der Abg. Dr. Weber (Nl.) die Abwesenheit eines 
Vertreters des Kriegsministeriums als befremdlich hingestellt hatte, wird 
die Petition einstimmig bis zum Herbst vertagt. 
10. Mai. (Reichstag.) Zweite und dritte Lesung des Kali- 
gesetzes. Vertagung des Reichstags bis zum 8. November 1910. 
Die Kalikommission hat den Entwurf völlig umgestaltet. An Stelle 
der Betriebsgemeinschaft, des Zwangssyndikats, ist in der Hauptsache getreten 
eine Kontingentierung des Absatzes mit Abgabe von 10 bis 17 Mark pro 
Doppelzentner auf das Ueberkontingent sowie eine Festsetzung der Preise. 
Daneben sind Bestimmungen getroffen zur Sicherung der bisherigen Lohn-
	        
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