Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

54 Im Reichstage (1870 bis 1874) 
Da der Jesuitenorden die Interessen der katholischen Religion durch 
politische Tätigkeit fördern zu müssen glaubt und die Politik nach religiösen 
Interessen betreibt, so wäre das Programm einfach dahin zu formulieren, 
daß wir treu zum Deutschen Reiche stehen und jede religiös-politische 
Agitation zurückweisen. 
Journal. 
Berlin, 5. Mai 1871. 
Nachdem ich vorgestern Völderndorffs Brief erhalten hatte, welcher 
mir sagt, daß in München die Absicht bestehe, Bray zu entlassen und ein 
Ministerium Hohenlohe-Lutz zu kombinieren, sprach ich mit Barth. Dieser 
meint, es sei tunlich, mit Lutz zusammenzugehen, vorausgesetzt, daß ich 
wenigstens drei Kollegen hätte, auf die ich mich verlassen könne. Als solche 
bezeichnet er, nachdem er mein direktes Offert, selbst mit einzutreten, an- 
genommen hatte, Fischer für das Innere und Hocheder für den Handel. 
So hätten wir, da er den Kultus übernehmen will, die Majorität im 
Ministerrate. Ich werde nun Völderndorff antworten und ihm im all- 
gemeinen meine Bereitwilligkeit zum Wiedereintritt erklären, jedoch unter 
der Bedingung, daß ich das Ministerium selbst bilden bezw. meine des- 
fallsigen Vorschläge dem König machen könne. 
Nachher sprach ich mit Arco, der, eben von München kommend, über die 
Döllingersche Bewegung berichtete. Es scheint aber nach allem, was ich 
von Arco höre, daß die Herren in München noch nicht wissen, wie sie 
eigentlich zum Ziel kommen wollen. Der Klerus geht nicht mit der Be- 
wegung, die Massen werden sich passiv halten, und der Regierung wird 
nichts andres übrigbleiben, als von Fall zu Fall die Frage zu ent- 
scheiden. 
Nachträglich muß ich noch beifügen, daß ich mit Barth auch die Frage 
wegen Hörmann besprochen habe. Er ist meiner Ansicht, die auch von 
vielen Mitgliedern der Fortschrittspartei geteilt wird, daß Hörmann nicht 
der Mann sei, den wir brauchen können. Ueberdem habe sich Hörmann 
in einer so unvorsichtigen Weise gegen den Wiedereintritt von Lutz erklärt, 
daß es ihm nicht möglich sein werde, davon abzugehen. 
Gestern Abend Soiree bei Hofe. Ich saß wieder am Tische der 
Kaiserin; neben mir der Minister Jolly aus Baden, der mir Inter- 
essantes über den Klerus in Baden mitteilte. Die Roheit desselben ist 
dort ebenso groß wie bei uns. Der Kaiser, der sich über Unwohlsein be- 
klagte, zog sich bald zurück. 
11. Mai. 
Diese Tage stets Sitzungen, Diners und Soireen bei Hof oder 
Fraktionsberatungen. Gestern wurde die Nachricht des Friedensabschlusses
	        
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