Object: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

192 Dae beuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 30.) 
sie ihm noch nicht genug einbringt. Die Grundlage der neuen Steuer ist in der 
Heuptsache die vorjährige Camphausen'dsche Vorlage, welche damals von allen 
Seiten verurtheilt wurde. 
30. Juni. (Deutsches Reich.) Reichstag: Tarifcommission: 
genehmigt rücksichtlich der Getreide-Transitlager und der Rückvergütung 
für wieder ausgeführtes Getreide einen Antrag Heereman mit 17 
gegen 11 Stimmen: 
Für die in Nr. 9 des Tarifs (Getreide) aufgeführten Waaren werden 
Transitlager ohne amtlichen Mitverschluß, in welchen die Behandlung und 
Umpackung gelagerter Waaren uneingeschränkt und ohne Anmeldung und die 
Mischung leßterer mit inländischer Waare zulässig ist, mit der chy abe be- 
willigt, daß bei der Ausfuhr dieser gemischten Waaren der in der Mischung 
enthaltene Procentsah in ausländischer Waare als die zgollfreie Menge der 
Durchfuhr anzusehen ist. Die näheren Anordnungen über diese Privattransit= 
lager, insbesondere über die an die Lagerinhaber zu stellenden Anforderungen, 
erläßt der Bundesrath. 
30. Juni. (Preußen.) Auch der Cultus= und Unterrichts- 
minister Falk und der Landwirthschaftsminister Friedenthal geben 
ihre Entlassung ein. Die Ultramontanen triumphiren. 
Ueber den Rücktritt des Cultusministers geht der „Nat.-Ztg.“ 
solgende Mittheilung zu, die sie „Ursache hat, für autorisirt zu halten“ 
(d. h. sie stammt von Dr. Falk selbst): „Der Rücktritt des Ministers Dr. Falk 
ist die Ausführung eines bereits seit zwei Monaten feststehenden Entschlusses. 
Derselbe ist weder auf wirthschaftliche Fragen, noch auf irgend welche Mei- 
nungsverschiedenheit gegenüber dem Reichskanzler auf dem gesammten vom 
Minister Dr. Falk geleiteten Gebiet suricchhuführen, Es steht fest, daß der 
Rücktritt Falk's als Bedingung für irgend welche Concession nicht von dem 
Reichskanzler gefordert worden ist, und es bleibt nach unseren Insormationen 
sehr zu eno filn, daß irgend wie auf eine solche Forderung eingegangen 
worden wäre. Minister Falk hat sich in allen Fragen seines Ressorts mit 
dem Reichskanzler in Uebereinstimmung befunden, und es kann versichert 
werden, daß auch alle Verhandlungen, welche bisher mit Organen der rö- 
mischen Curie geführt worden sind, ganz in dem Sinne gehalten waren, über 
welchen zuvor eine Verständigung zwischen dem Reichskanzler und dem Cultus- 
minister stattgefunden hatte. Der Rücktritt Falk's sollte erst nach dem Schluß 
der Reichstagssession beantragt werden, und es ist anzunehmen, daß der Mi- 
nister bis zu dieser Zeit und jedenfalls bis zur Ernennung seines Nachfolgers 
im Amte verbleiben wird. Der jebige Entschluß, die Entlassung zu fordern, 
hat zweifellos seinen Grund in der allgemeinen Situation, welche dem Mi- 
nister die Ueberzeugung verschafft hat, daß seine Stellung in derselben un- 
haltbar geworden ist. So wenig, wie am Schlusse des vorigen Jahres, ist 
jebt auf dem Gebiete der katholischen Fragen der Entschlut des Ministers 
gereift. Wenn man die Ernennungen zur evangelischen General-= 
Thnode übersieht und darunter Namen begegnetk, welche 40 an der Spihe 
er an den Landtag gebrachten Petitionen gegen das Schulsystem Falk's be- 
sunden haben, so wird unschwer zu finden sein, wo man die letzten Entschei- 
dungsgründe des Ministers zu suchen hat. Derselbe wird übrigens aus dem 
Staatsdienste scheiden und sich ganz in das Privatleben zurückziehen. Die 
vielfach verbreitete Version, wonach der Minister Falk dazu ersehen wäre, 
das Fieesrnile des Justizministers nach einem etwaigen Rücktritt des Dr. 
Leonhardt zu übernehmen, darf für jetzt gänzlich unbeachtet bleiben. Wie
	        
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