22 Das Deesche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 13.)
regierung seinerzeit selbst die Initiative ergriffen hat, so gut wird sie die
Initiative ergreifen, wenn sie selbst den Zeitpunkt für gekommen erachtet
(Lebhafte Rufe I.: Wann?!), um mit einer Wahlreform vorzugehen. (Wieder-
holte Rufe: Wann?) — Ja, das werden Sie sehen, m. H., (Große Heiter-
eit.) Bei dieser Gelegenheit muß ich mich mit einer in Schrift und Wort
vielfach gebrauchten agitatorischen Wendung auseinandersetzen. Diese Wen-
dung betrifft das „uneingelöste Königswort“. M. H., eine Thronrede ist,
staatsrechtlich genommen, ein Regierungsakt wie andere Regierungsakte,
und für das, was in der Thronrede gesagt wird, trägt allein die König-
liche Staatsregierung die Verantwortung. Das will ich gegenüber dem
Mißbrauch des Wortes „uneingelöstes Königswort“ hiermit ein für allemal
namens der Königlichen Staatsregierung festgestellt haben. (Lebhafter Bei-
fall r. — Unruhe und Zurufe bei den Sd.) M. H., der Ankündigung, die
der mit Allerhöchster Sanktion in der Thronrede von 1908 aufgenommene
Passus enthält, ist durch die Vorlage der Wahlreformnovelle vom Jahre 1910
entsprochen worden. Daran, daß diese Wahlreform nicht zustande gekommen
ist, trägt die Königliche Staatsregierung keine Schuld. Die Wahlreform ist
nicht zustande gekommen, weil sich der Landtag nicht darüber einigen konnte.
Bei dieser Situation ist es lediglich dem Ermessen der Königlichen Staats-
regierung anheimgestellt, wann sie glaubt, den Versuch mit Aussicht auf
Erfolg wiederholen zu können. Jedenfalls ist die Königliche Staatsregierung
der Ansicht gewesen, daß es nicht angebracht war, dem neugewählten Ab-
geordnetenhause in seiner ersten Tagung eine Vorlage über die Reform
des preußischen Wahlrechts, die immer eine Materie von größter politischer
Bedeutung ist, vorzulegen. Der Vorredner hat dann noch meine Haltung
in der braunschweigischen Frage angegriffen. Lassen Sie mich noch
darüber kurz sprechen; lange werde ich Ihre Zeit nicht in Anspruch nehmen!
Ich habe mich über die braunschweigische Frage, über das braunschweigische
Recht, über die Bundesratsbeschlüsse von 1885 und 1907, über das Ver-
hältnis der letzten Entscheidung des Bundesrats zu diesen beiden Be-
schlüssen, über die Bedeutung des Verzichts ausführlich im Reichstage aus-
gesprochen, und ich wüßte nicht, was ich dem hinzufügen könnte. Ich habe
auch in den Worten des Vorredners eine Widerlegung dessen, was ich im
Reichstage gesagt habe, nicht finden können. Wohl aber geben mir die
Ausführungen des Vorredners erwünschten Anlaß, meine Darlegungen im
Reichstage noch in einer Beziehung zu ergänzen: das ist die Einwirkung
der Regelung der braunschweigischen Frage auf die welfische Partei in
Hannover. M. H., da muß ich nun zunächst daran erinnern, daß die Aus-
sicht auf die Lösung der braunschweigischen Frage, die nun zur Tat ge-
worden ist, als sie öffentlich bekannt wurde, fast ganz allgemein die leb-
hafteste Zustimmung fand, auch in konservativen und auch in national-
liberalen Kreisen. Auch in nationalliberalen Kreisen wurden die Garantien,
die Prinz Ernst August gegeben hatte, anfänglich für auskömmlich erachtet.
Der Umschwung ist erst eingetreten, als die hannoverschen Welfen anfingen,
die Bedeutung dieser Garantien in Zweifel zu ziehen. M. H., die Welfen
in Hannover mögen sagen und schreiben, was sie wollen; an der Bedeutung
dessen, was der jetzt regierende Herzog von Braunschweig gesagt und getan
hat, können sie nicht rütteln und nicht deuteln. Das Wort eines Ehren-
mannes wird nicht durch Auslegungen angetastet, welche unberufene Dritte
ihm geben zu können glauben. Nun ist es allerdings richtig, daß die
hannoverschen Welfen fortgesetzt diesen Versuch gemacht haben, und es ist
richtig, daß, wie der Vorredner das hier ausgeführt hat, in einer Welfen-
versammlung in Nienburg im Dezember v. Is. Aeußerungen gefallen sind,
welche nicht anders gedeutet werden können und wohl auch so gedeutet