— 686 —
setzten Textes durch eine oder mehrere Schülerinnen; in der nächsten Stunde wird die
Übersetzung wiederholt. Die gemeinsame Präparation wird man in Obertertia
längere Zeit betreiben, wie man auch später die Schülerinnen in jeden neuen Schriftsteller,
besonders in die Dichter zunächst durch gemeinsame Vorbereitung einführen wird. Von
Anfang an aber ist in der Lektüre darauf zu halten, daß in jeder Stunde ein abgeschlossenes
Stück erledigt wird, daß man nicht mitten in einem Zusammenhange stehen bleibt.
8. Gibt man Abschnitte zu häuslicher Vorbereitung auf, so soll sich diese Aufgabe
in mäßigen Grenzen halten, aber doch auch tunlichst abgerundet sein; besondere
Schwierigkeiten sind mit der Klasse bei der Aufgabe zu besprechen. Dann wird es mög-
lich sein, daß die Schülerinnen, ohne vorher den Text zu lesen, ihn nach Möglichkeit
leidlich übersetzen; hat eine Schülerin den Sinn eines Satzes überhaupt nicht verstanden,
hat sie das vorher zu erklären. Unterbrechung der Vorübersetzenden ist tunlichst zu ver-
meiden; an der Beurteilung der Ubersetzung hat sich die ganze Klasse zu beteiligen. Erst
wenn der ganze Abschnitt vorübersetzt ist, beginnt die Aufgabe des Lehrers, in gemein-
samer Arbeit mit der Klasse eine dem deutschen Sprachgeist gemäße und zugleich mög-
lichst treue Ubertragung festzustellen und dazu die notwendigen sachlichen Erläuterungen
zu geben. Schließlich wird nach der Durcharbeitung eines zusammenhängenden Ab-
schnittes der lateinische Text von den Schülerinnen mit gutem, sinngemäßem Ausdruck
gelesen. Bei Abschnitten von Prosaschriften, über die schneller hinweggelesen werden
soll, kann das Lesen des lateinischen Textes auch unterbleiben, nicht aber in der
Dichterlektüre. Mit den metrischen Gesetzen müssen die Schülerinnen soweit vertraut
werden, daß sie, wie den Hexameter und Pentameter, so auch die gebräuchlichsten
Horazischen Versmaße beherrschen. Das Lesen des lateinischen Textes kann auch auf
die nächste Stunde verschoben werden und dann unter Umständen die Nachübersetzung
ersetzen; ebenso kann statt der Nachübersetzung von den Schülerinnen die Wiedergabe
des Inhalts in deutscher oder lateinischer Sprache gefordert oder abgefragt werden.
9. Nicht ganz wird der Lehrer auf die Privatlektüre der Schülerinnen verzichten
können, wenn sie auch auf einen mäßigen Umfang zu beschränken ist; selbstverständlich
ist sie in den Unterrichtsstunden nachzuprüfen. Auch ist für die oberen Klassen die
Extempore-Lektüre leichterer Abschnitte zu empfehlen, vor einem Ubermaß darin aber
nachdrücklich zu warnen; denn in erster Linie ist dafür zu sorgen, daß sich die Schüle-
rinnen von dem Gelesenen einen bleibenden Eindruck bewahren. Daher mögen sie sich
klassische Stellen fest ins Gedächtnis einprägen und insbesondere einige Oden des
Horaz, aber auch kleine Abschnitte aus Virgil oder den Elegikern answendig lernen.
Die Schule ist nicht durchaus an die in § 15 gegebene Auswahl der Schriftsteller
gebunden, sondern Abweichungen davon sind nach Beschluß des Lehrerkollegiums zu-
lässig, bedürfen aber der Genehmigung der obersten Schulbehörde.