Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 9./20.) 3
gebaut werden. Vielleicht sei bei entfernten Verwandtschaftsgraden das
Erbrecht aufzuheben. Abg. Raab (wirtsch. Vg.): Alle vorgeschlagenen in-
direkten Steuern hätten einen aufrührerischen Charakter und begünstigten
das Großkapital. Die Erbschaftssteuer sei zu begrüßen, aber daneben
müßten eine Einkommensteuer, eine Wehrsteuer, eine Erhöhung der Börsen-
steuer und der Luxussteuern eingeführt werden.
11. Januar. Schatzsekretär v. Stengel: Die Regierung bestehe
nicht auf der unveränderten Annahme sämtlicher Steuern; es ließe sich
wohl eine durch eine andere ersetzen. Die Aufhebung der Branntwein-
Liebesgabe werde die Preise des Trinkbranntweins und des gewerblichen
Spiritus erhöhen; überdies sei es inopportun, an dem erst vor kurzem
geschaffenen Kompromiß zu rütteln. Die Regierung habe noch immer
große Bedenken gegen die Ausdehnung der Erbschaftssteuer. Abg. Patzig
(nl.) will an Stelle der Verkehrssteuern eine direkte Besteuerung der Eisen-
bahnverwaltung. Man solle auf jeden Betriebskilometer eine bestimmte
Abgabe für das Reich legen. Preuß. Finanzminister v. Rheinbaben:
Die Ausführung dieses Gedankens würde die Finanzgebarung aller Einzel-
staaten unmöglich machen.
12. Januar. Abg. Osel (Z.) lehnt eine Weinsteuer als verfassungs-
widrig ab. Abg. Geyer (Soz.) polemisiert gegen den preuß. Finanz-
minister, der über die Besteuerung der Arbeiter durch die sozialdemokra-
tische Organisation unrichtige Angaben gemacht habe. Abg. Riff (fr. Vg.)
lehnt im Namen der Elsaß-Lothringer die Ausdehnung der Erbschaftssteuer
ab, weil dort schon eine Steuer für Deszendenten und Ehegatten bestände.
13. Januar. Staatssekretär Frhr. v. Stengel verteidigt die Tabak-
und Brausteuer und verspricht für die Kommission weitere Mitteilungen.
Nach weiterer Debatte werden die Vorlagen an eine Kommission verwiesen.
9./20. Januar. (Bayerische Abgeordnetenkammer.) Mi-
litäretat. Patriotismus, Kommandierungen nach Preußen, Staats-
recht, Mißhandlungen.
Abg. Schmitt (Soz.) tadelt, daß preußische Offiziere die bayerischen
Truppen inspizierten. Kriegsminister v. Horn: Das Recht der Inspizie-
rung stehe dem Deutschen Kaiser zu, der bei Ausübung dieses Rechtes
Bayern gegenüber mit dem größten Wohlwollen verfährt. Abg. Roll-
wagen (Soz.): Die Arbeiterklasse habe kein Interesse an der Erhaltung
des heutigen Militärsystems. Unser Vaterland ist dort, wo es uns gut
geht. Hierauf erfolgen scharfe Erwiderungen von den anderen Parteien;
am 11. erklärt Abg. v. Vollmar (Soz.), daß die Sozialdemokraten bei
Bedrohung des Vaterlandes die besten Verteidiger sein würden, daß aber
das Heer sich nicht zur Aufrechterhaltung einer hinfällig werdenden Klassen-
herrschaft hergeben dürfe. Das Programm der Sozialdemokratie enthalte
nichts über Zerstörung des Patriotismus und der Disziplin in der Armee. —
Diese Aeußerung wird von den anderen Parteien als Desavouierung Roll-
wagens aufgefaßt. — Abg. Geiger (Z.) findet es staatsrechtlich bedenklich,
daß bayerische Truppen bei preußischen Manövern verwendet würden.
Auch die Errichtung des Reichsmilitärgerichts werde als Einschränkung der
bayerischen Militärhoheit schmerzlich empfunden; ernenne Bayern den
Militäranwalt selbständig, wie es das Gesetz bestimme, oder hole es die
Zustimmung des Kaisers ein? Kriegsminister Frhr. v. Horn: Die Be-
rufung des Militäranwalts beim bayerischen Senate des Reichsmilitär-
gerichts erfolge ohne Mitwirkung des Kaisers und lediglich aus selbst-
verständlicher Courtoisie werde die Abberufung und Neubestellung nach
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