110 I. Buch. Die Grundlagen des deutschen Staates.
Der Staat ist und will sein die oberste und niemals versagende
Bürgschaft für jene Urbedingung alles menschlichen Zusammenlebens
und Zusammenwirkens, die das Recht ist.
Der Staat ist und will aber über eine äufserlich ordnende Kraft hin-
aus zugleich ein selbstthätiges Element sein in der Kulturentwicklung
seines Volkes. Für dieselbe erfüllt er überall durch seine Ordnungen,
Verrichtungen und Veranstaltungen solche Bedingungen, welche nur
durch eine centralisierte Thätigkeit in planmälsiger Leitung verwirklicht
werden können, sei es dals ohne sie gewisse Kulturaufgaben überhaupt
nicht oder doch nur unter Verschwendung zersplitterter Kräfte erreich-
bar sind.
Damit ist der Gemeinzweck des Staates in einem bestimmten
Sinne universell.
Er ist es schlechterdings nicht in dem Sinne, als ob der Staat es
jemals zur Absicht haben könnte, die Summe der Lebenszwecke, die
in und mit der Gesellschaft erstrebt und verwirklicht werden können
und sollen, als seine eigenen, durch seine eigene Thätigkeit zu ver-
wirklichenden Aufgaben zu setzen. Der Staat hat die freie, sittliche
Lebensentfaltung aller seiner Bestandteile zur Voraussetzung. Er kann
es niemals erreichen, durch seine Organisationen und Verrichtungen
an die Stelle der Organisationsformen der freien Anpassung, der
Familie, der vielgestaltigen korporativen Verbände zu treten. Jeder
Versuch in dieser Richtung untergräbt die sittliche Kraft und die
sittliche Verantwortlichkeit seiner Angehörigen und zerstört damit die
Bedingungen, unter denen allein der Staat für sich selbst Kraft und
Würde gewinnt.
Universell ist sein Gemeinzweck noch weniger in dem Sinne, als
ob dem Staate eine Einwirkung auf alle sittlichen Lebenszwecke der
Menschen zustände. Unzugänglich ist dem Staate, was im menschlichen
Individualprozesse verläuft und nur in der freien Gestaltung desselben
sittlichen Wert hat. Unzugänglich ist ihm die innere Gesetzmälsigkeit
des menschlichen Wesens und seiner natürlichen Bedingungen. Was
gut und fromm, was wahr und schön, was wirtschaftlich und technisch
richtig ist, liegt aufserhalb seiner bestimmenden Kraft. Er selbst ist
in allen seinen Elementen dieser Gesetzmälsigkeit unterthänig.
Universell ist sein Gemeinzweck nur in dem andern Sinne, dals
der Staat zu allen menschlichen Lebenszwecken, insofern und insoweit
sie der gesellschaftlichen Erarbeitung und Bearbeitung fähig und be-
dürftig sind, in einer bestimmten Beziehung steht und zwar in der
Beziehung, dafs er sie alle in ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis
zu seinem eigenen Gemeinzwecke versetzt.