Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 15. Die dreifache Wurzel der Suveränetät. 113 
Aber wie die nur allmähliche Entwicklung des Menschen, wie seine 
Unzulänglichkeit und auch seine Verderbtheit seiner sittlichen Bestimmung 
nicht Abbruch thun, so bleibt der Gemeinzweck des Staates 
im Vergleich mit allen den Zwecken, die den menschlichen Verbin- 
dungen eignen, ein höchster — nicht weil er alle andern Gesell- 
schaftszwecke aufsaugt, sondern weil er — in diesem Sinne universell 
— sie alle einem Gesamtplane der Kulturentwicklung des Volkes ein- 
fügt, welchen der Staat in oberster Leitung durch seine rechtlichen 
Ordnungen und in ergänzender Hülisthätigkeit zu verwirklichen hat, 
weil er darum und von dieser Seite her alle in der Gesellschaft ver- 
folgbaren Zwecke ergreift. 
IH. Seinem Berufe entspricht die Selbstgenügsamkeit des 
Staates. Die Summe der Macht- uud Rechtsmittel, welche die Er- 
füllbarkeit seines Berufes bedingen, müssen ihm in logischer und 
praktischer Folgerichtigkeit zu Gebote stehen. 
Dem Staate eienet eine bis zur Höhe seines Berufes gesteigerte 
Herrschaft. 
Nieht als ob seine Herrschaft mit allen andern Herrschaften und 
Willensmächten schlechthin gleichartig und darum in Vergleich mit 
diesen schlechthin eine höchste wäre. Der Staat hat keine höchste 
Familiengewalt, er hat — in der modernen Auffassung der Gesell- 
schaft — keine höchste Kirchengewalt, er ist auch in den Zeiten der 
feudalen Gestaltung der Gesellschaft nicht notwendig höchster Lehns- 
und Grundherr. Nur die Verblendung der Despotie kann den nie 
gelingenden Versuch unternehmen, eine absolut höchste Herrschaft zu 
führen. 
Vjelmehr — die Herrschaft des Staates ist nur um seines Gremein- 
zweckes willen sittlich und rechtlich begründet. Dieser fordert, aber 
er duldet auch nicht mehr, als dafs keine Willensmacht und keine 
Herrschaft innerhalb des Gebietes bestehe, die nicht von dem Staate 
insofern und insoweitergriffen und seiner Herrschaft insofern und insoweit 
untergeordnet wird, als erforderlich ist, um sie seiner rechtlichen, durch 
den territorialen Bereich seiner Organisation und durch seinen Gemein- 
zweck näher bestimmten Gesamtordnung einzufügen. In diesem Be- 
tracht ist die staatliche Herrschaft im Vergleich mit jeder andern 
Willensmacht oder Herrschaft eine höchste Herrschaft. 
Mit dem allen ist die Suveränetät des Staates das Unter- 
scheidungsmerkmal, welches ihm im Vergleiche mit jeder andern 
gesellschaftlichen Organisationsform, insbesondere aber im Vergleich 
mit jedem andern korporativen Verbande zusteht und welches die 
Eigenart seines Wesens ausmacht. 
Binding, Handbuch. Y. 1: IIänel, Staatsrecht. 1. 8
	        
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